%Thu Aug 23 14:03:33 EDT 2012 ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) Die Leiden des jungen Werthers Leipzig, in der Weygandſchen Buchhandlung, 1774 Herausgegeben von John Simms nach eine Faksimile-Wiedergabe des Erstdruckes von 1774 erfolgt nach dem Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek, München. © 2012 John Simms ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• D i e L e i d e n des j u n g e n W e r t h e r s. ----------------- Erſter Theil. ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||WB||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ||||||||||||||| ----------------------------------------------------------------- L e i p z i g, in der Weygandſchen Buchhandlung. 1 7 7 4. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ========================================================== ||||||||||||| ||||||||||||| ||||||||||| Was ich von der Geſchichte des ar- ||||||||||||| ||||||||||||| men Werthers nur habe auffin- den können, habe ich mit Fleiß geſammlet, und leg es euch hier vor, und weis, daß ihr mir's danken werdet. Ihr könnt ſei- nem Geiſt und ſeinem Charakter eure Bewun- derung und Liebe, und ſeinem Schickſaale eure Thränen nicht verſagen. A 2 Und ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• Und du gute Seele, die du eben den Drang fühlſt wie er, ſchöpfe Troſt aus ſei- nem Leiden, und laß das Büchlein deinen Freund ſeyn, wenn du aus Geſchick oder eig- ner Schuld keinen nähern finden kannſt. =============================== Wie ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| * am 4. May. 1771. |||||||||||||||| |||||||||||||||| ||||||||||||| Wie froh bin ich, daß ich weg bin! |||||||||||||||| Beſter Freund, was iſt das Herz des |||||||||||||||| Menſchen! Dich zu verlaſſen, den ich ſo liebe, von dem ich unzertrennlich war, und froh zu ſeyn! Ich weis, Du verzeihſt mir's. Waren nicht meine übrigen Verbindungen recht ausgeſucht vom Schickſaal, um ein Herz wie das meine zu ängſtigen? Die arme Leonore! Und doch war ich unſchuldig! Konnt ich dafür, daß, wäh- rend die eigenſinnigen Reize ihrer Schweſter mir einen angenehmen Unterhalt verſchafften, daß eine Leidenſchaft in dem armen Herzen ſich bildete! Und doch - bin ich ganz unſchuldig? Hab ich nicht A 3 ihre ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 6 <<<<<<<<<<<<<<< ihre Empfindungen genährt? Hab ich mich nicht an denen ganz wahren Ausdrücken der Natur, die uns ſo oft zu lachen machten, ſo wenig lächerlich ſie waren, ſelbſt ergözt! Hab ich nicht - O was iſt der Menſch, daß er über ſich klagen darf! - Ich will, lieber Freund, ich verſpreche Dir's, ich will mich beſſern, will nicht mehr das Bisgen Ue- bel, das das Schickſaal uns vorlegt, wiederkäuen, wie ich's immer gethan habe. Ich will das Ge- genwärtige genießen, und das Vergangene ſoll mir vergangen ſeyn. Gewiß Du haſt recht, Beſter: der Schmerzen wären minder unter den Menſchen, wenn ſie nicht - Gott weis warum ſie ſo gemacht ſind - mit ſo viel Emſigkeit der Einbildungskraft ſich beſchäftigten, die Erinnerungen des vergangenen Uebels zurückzurufen, ehe denn eine gleichgültige Gegenwart zu tragen. Du biſt ſo gut, meiner Mutter zu ſagen, daß ich ihr Geſchäfte beſtens betreiben, und ihr ehſtens Nachricht davon geben werde. Ich habe meine Tante geſprochen, und habe bey weiten das böſe Weib nicht gefunden, das man bey uns aus ihr macht, ſie iſt eine muntere heftige Frau von dem beſten ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 7 beſten Herzen. Ich erklärte ihr meiner Mutter Beſchwerden über den zurückgehaltenen Erbſchafts- antheil. Sie ſagte mir ihre Gründe, Urſachen und die Bedingungen, unter welchen ſie bereit wäre alles heraus zu geben, und mehr als wir verlang- ten - Kurz, ich mag jezo nichts davon ſchreiben, ſag meiner Mutter, es werde alles gut gehen. Und ich habe, mein Lieber! wieder bey dieſem klei- nen Geſchäfte gefunden: daß Mißverſtändniſſe und Trägheit vielleicht mehr Irrungen in der Welt ma- chen, als Liſt und Bosheit nicht thun. Wenig- ſtens ſind die beyden leztern gewiß ſeltner. Uebrigens find ich mich hier gar wohl. Die Einſamkeit iſt meinem Herzen köſtlicher Balſam in dieſer paradiſiſchen Gegend, und dieſe Iahrszeit der Iugend wärmt mit aller Fülle mein oft ſchau- derndes Herz. Ieder Baum, jede Hecke iſt ein Straus von Blüten, und man möchte zur Mayen- käfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumſchweben, und alle ſeine Nahrung darinne finden zu können. Die Stadt iſt ſelbſt unangenehm, dagegen rings umher eine unausſprechliche Schönheit der Natur. A 4 Das ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 8 <<<<<<<<<<<<<<< Das bewog den verſtorbenen Grafen von M . einen Garten auf einem der Hügel anzulegen, die mit der ſchönſten Mannigfaltigkeit der Natur ſich kreuzen, und die lieblichſten Thäler bilden. Der Garten iſt einfach, und man fühlt gleich bey dem Eintritte, daß nicht ein wiſſenſchaftlicher Gärtner, ſondern ein fühlendes Herz den Plan bezeichnet, das ſein ſelbſt hier genießen wollte. Schon man- che Thräne hab ich dem Abgeſchiedenen in dem ver- fallnen Cabinetgen geweint, das ſein Lieblingspläz- gen war, und auch mein's iſt. Bald werd ich Herr vom Garten ſeyn, der Gärtner iſt mir zu- gethan, nur ſeit den paar Tagen, und er wird ſich nicht übel davon befinden. * am 10. May. || Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze See- ||||| le eingenommen, gleich denen ſüßen Frühlings- morgen, die ich mit ganzem Herzen genieſſe. Ich bin ſo allein und freue mich ſo meines Lebens, in dieſer Gegend, die für ſolche Seelen geſchaffen iſt, wie die meine. Ich bin ſo glücklich, mein Beſter, ſo ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 9 ſo ganz in dem Gefühl von ruhigem Daſeyn ver- ſunken, daß meine Kunſt darunter leidet. Ich könnte jetzo nicht zeichnen, nicht einen Strich, und bin niemalen ein gröſſerer Mahler geweſen als in dieſen Augenblicken. Wenn das liebe Thal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Ober- fläche der undurchdringlichen Finſterniß meines Wal- des ruht, und nur einzelne Strahlen ſich in das innere Heiligthum ſtehlen, und ich dann im hohen Graſe am fallenden Bache liege, und näher an der Erde tauſend mannigfaltige Gräsgen mir merk- würdig werden. Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwiſchen Halmen, die unzähligen, unergründli- chen Geſtalten, als der Würmgen, der Mückgen, nä- her an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Allmächtigen, der uns all nach ſeinem Bilde ſchuf, das Wehen des Allliebenden, der uns in ewi- ger Wonne ſchwebend trägt und erhält. Mein Freund, wenn's denn um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht, wie die Geſtalt einer Gelieb- ten; dann ſehn ich mich oft und denke: ach könn- teſt du das wieder ausdrücken, könnteſt du dem A 5 Papier ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 10 <<<<<<<<<<<<<<< Papier das einhauchen, was ſo voll, ſo warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele, wie deine Seele iſt der Spiegel des unendlichen Gottes. Mein Freund - Aber ich gehe dar- über zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herrlichkeit dieſer Erſcheinungen. * am 12. May. || Ich weis nicht, ob ſo täuſchende Geiſter ||||| um dieſe Gegend ſchweben, oder ob die warme himmliſche Phantaſie in meinem Her- zen iſt, die mir alles rings umher ſo paradiſiſch macht. Da iſt gleich vor dem Orte ein Brunn', ein Brunn', an den ich gebannt bin wie Meluſine mit ihren Schweſtern. Du gehſt einen kleinen Hügel hinunter, und findeſt dich vor einem Ge- wölbe, da wohl zwanzig Stufen hinab gehen, wo unten das klarſte Waſſer aus Marmorfelſen quillt. Das Mäuergen, das oben umher die Einfaſſung macht, die hohen Bäume, die den Platz rings um- her bedecken, die Kühle des Orts, das hat alles ſo was anzügliches, was ſchauerliches. Es ver- geht ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> 11 geht kein Tag, daß ich nicht eine Stunde da ſizze. Da kommen denn die Mädgen aus der Stadt und holen Waſſer, das harmloſeſte Geſchäft und das nöthigſte, das ehmals die Töchter der Könige ſelbſt verrichteten. Wenn ich da ſizze, ſo lebt die patriarchaliſche Idee ſo lebhaft um mich, wie ſie alle die Altväter am Brunnen Bekanntſchaft ma- chen und freyen, und wie um die Brunnen und Quellen wohlthätige Geiſter ſchweben. O der muß nie nach einer ſchweren Sommertagswanderung ſich an des Brunnens Kühle gelabt haben, der das nicht mit empfinden kann. * am 13. May. || Du fragſt, ob Du mir meine Bücher ſchikken ||||| ſollſt? Lieber, ich bitte dich um Gottes wil- len, laß mir ſie vom Hals. Ich will nicht mehr geleitet, ermuntert, angefeuret ſeyn, brauſt die- ſes Herz doch genug aus ſich ſelbſt, ich brauche Wiegengeſang, und den hab ich in ſeiner Fülle ge- funden in meinem Homer. Wie oft lull ich mein empörendes Blut zur Ruhe, denn ſo ungleich, ſo unſtet ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 12 <<<<<<<<<<<<<<< unſtet haſt Du nichts geſehn als dieſes Herz. Lie- ber! Brauch ich Dir das zu ſagen, der Du ſo oft die Laſt getragen haſt, mich vom Kummer zur Aus- ſchweifung, und von ſüſſer Melancholie zur ver- derblichen Leidenſchaft übergehn zu ſehn. Auch halt ich mein Herzgen wie ein krankes Kind, all ſein Wille wird ihm geſtattet. Sag das nicht weiter, es giebt Leute, die mir's verübeln würden. * am 15. May. || Die geringen Leute des Orts kennen mich ſchon, ||||| und lieben mich, beſonders die Kinder. Eine traurige Bemerkung hab ich gemacht. Wie ich im Anfange mich zu ihnen geſellte, ſie freundſchaftlich fragte über dieß und das, glaubten einige, ich wollte ihrer ſpotten, und fertigten mich wol gar grob ab. Ich ließ mich das nicht verdrießen, nur fühlt ich, was ich ſchon oft bemerkt habe, auf das lebhafteſte. Leute von einigem Stande werden ſich immer in kalter Entfernung vom gemeinen Volke halten, als glaubten ſie durch Annäherung zu verlieren, und dann giebts Flüchtlinge und üble Spasvögel, die sich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 13 ſich herabzulaſſen ſcheinen, um ihren Uebermuth dem armen Volke deſto empfindlicher zu machen. Ich weiß wohl, daß wir nicht gleich ſind, noch ſeyn können. Aber ich halte dafür, daß der, der glaubt nöthig zu haben, vom ſogenannten Pöbel ſich zu entfernen, um den Reſpekt zu erhalten, eben ſo tadelhaft iſt, als ein Feiger, der ſich für ſeinem Feinde verbirgt, weil er zu unterliegen fürchtet. Lezthin kam ich zum Brunnen, und fand ein junges Dienſtmädgen, das ihr Gefäß auf die un- terſte Treppe geſetzt hatte, und ſich umſah, ob keine Camerädin kommen wollte, ihr's auf den Kopf zu helfen. Ich ſtieg hinunter und ſah ſie an. Soll ich ihr helfen, Iungfer? ſagt ich. Sie ward roth über und über. O nein Herr! ſagte ſie. - Ohne Umſtände - Sie legte ihren Kringen zurechte, und ich half ihr. Sie dankte und ſtieg hinauf. * den 17. May. || Ich hab allerley Bekanntſchaft gemacht, Geſell- ||||| ſchaft hab ich noch keine gefunden. Ich weiß nicht, was ich anzügliches für die Menſchen haben muß, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 14 <<<<<<<<<<<<<<< muß, es mögen mich ihrer ſo viele, und hängen ſich an mich, und da thut mirs immer weh, wenn unſer Weg nur ſo eine kleine Strecke mit einander geht. Wenn Du fragſt, wie die Leute hier ſind? muß ich Dir ſagen: wie überall! Es iſt ein ein- förmig Ding um's Menſchengeſchlecht. Die mei- ſten verarbeiten den gröſten Theil der Zeit, um zu leben, und das Bisgen, das ihnen von Freyheit übrig bleibt, ängſtigt ſie ſo, daß ſie alle Mittel aufſuchen, um's los zu werden. O Beſtimmung des Menſchen! Aber eine rechte gute Art Volks! Wann ich mich manchmal vergeſſe, manchmal mit ihnen die Freuden genieße, die ſo den Menſchen noch gewährt ſind, an einem artig beſetzten Tiſch, mit aller Offen- und Treuherzigkeit ſich herum zu ſpaſſen, eine Spa- zierfahrt, einen Tanz zur rechten Zeit anzuordnen und dergleichen, das thut eine ganz gute Würkung auf mich, nur muß mir nicht einfallen, daß noch ſo viele andere Kräfte in mir ruhen, die alle un- genutzt vermodern, und die ich ſorgfältig verbergen muß. Ach das engt all das Herz ſo ein - Und doch! ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 15 doch! Misverſtanden zu werden, iſt das Schickſal von unſer einem. Ach daß die Freundin meiner Iugend dahin iſt, ach daß ich ſie je gekannt habe! Ich würde zu mir ſagen: du biſt ein Thor! du ſuchſt, was hienieden nicht zu finden iſt. Aber ich hab ſie gehabt, ich habe das Herz gefühlt, die große Seele, in deren Gegenwart ich mir ſchien mehr zu ſeyn als ich war, weil ich alles war was ich ſeyn konnte. Guter Gott, blieb da eine einzige Kraft meiner Seele un- genutzt, konnt ich nicht vor ihr all das wunderbare Gefühl entwickeln, mit dem mein Herz die Natur umfaßt, war unſer Umgang nicht ein ewiges We- ben von feinſter Empfindung, ſchärfſtem Witze, deſſen Modifikationen bis zur Unart alle mit dem Stempel des Genies bezeichnet waren? Und nun - Ach ihre Iahre, die ſie voraus hatte, führten ſie früher an's Grab als mich. Nie werd ich ihrer vergeſſen, nie ihren feſten Sinn und ihre göttliche Duldung. Vor wenig Tagen traf ich einen jungen V an, ein offner Iunge, mit einer gar glücklichen Geſichtsbildung. Er kommt erſt von Akademien, dünkt ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 16 <<<<<<<<<<<<<<< dünkt ſich nicht eben weiſe, aber glaubt doch, er wüßte mehr als andere. Auch war er fleißig, wie ich an allerley ſpüre, kurz, er hatt' hüpſche Kennt- niſſe. Da er hörte, daß ich viel zeichnete, und Griechiſch konnte, zwey Meteore hier zu Land, wandt er ſich an mich und kramte viel Wiſſens aus, von Batteux bis zu Wood, von de Piles zu Winkelmann, und verſicherte mich, er habe Sulzers Theorie den erſten Theil ganz durchgeleſen, und be- ſitze ein Manuſcript von Heynen über das Stu- dium der Antike. Ich ließ das gut ſeyn. Noch gar einen braven Kerl hab ich kennen ler- nen, den fürſtlichen Amtmann. Einen offenen, treuherzigen Menſchen. Man ſagt, es ſoll eine Seelenfreude ſeyn, ihn unter ſeinen Kindern zu ſe- hen, deren er neune hat. Beſonders macht man viel Weſens von ſeiner ältſten Tochter. Er hat mich zu ſich gebeten, und ich will ihn ehſter Tage beſuchen, er wohnt auf einem fürſtlichen Iagdhofe, anderthalb Stunden von hier, wohin er, nach dem Tode ſeiner Frau, zu ziehen die Erlaubniß erhielt, da ihm der Aufenthalt hier in der Stadt und dem Amthauſe zu weh that. Sonſt ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 17 Sonſt ſind einige verzerrte Originale mir in Weg gelaufen, an denen alles unausſtehlich iſt, am unerträglichſten ihre Freundſchaftsbezeugungen. Leb wohl! der Brief wird dir recht ſeyn, er iſt ganz hiſtoriſch. * am 22 May. || Daß das Leben des Menſchen nur ein Traum ||||| ſey, iſt manchem ſchon ſo vorgekommen, und auch mit mir zieht dieſes Gefühl immer herum. Wenn ich die Einſchränkung ſo anſehe, in welche die thätigen und forſchenden Kräfte des Menſchen eingeſperrt ſind, wenn ich ſehe, wie alle Würkſam- keit dahinaus läuft, ſich die Befriedigung von Be- dürfniſſen zu verſchaffen, die wieder keinen Zwek haben, als unſere arme Exiſtenz zu verlängern, und dann, daß alle Beruhigung über gewiſſe Punkte des Nachforſchens nur eine träumende Reſignation iſt, da man ſich die Wände, zwiſchen denen man gefangen ſizt, mit bunten Geſtalten und lichten Ausſichten bemahlt. Das alles, Wilhelm, macht mich ſtumm. Ich kehre in mich ſelbſt zurük, und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahndung und B dunkler ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 18 <<<<<<<<<<<<<<< dunkler Begier, als in Darſtellung und lebendiger Kraft. Und da ſchwimmt alles vor meinen Sin- nen, und ich lächle dann ſo träumend weiter in die Welt. Daß die Kinder nicht wiſſen, warum ſie wol- len, darinn ſind alle hochgelahrte Schul- und Hof- meiſter einig. Daß aber auch Erwachſene, gleich Kindern, auf dieſem Erdboden herumtaumeln, gleich- wie jene nicht wiſſen, woher ſie kommen und wo- hin ſie gehen, eben ſo wenig nach wahren Zwekken handeln, eben ſo durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiſer regiert werden, das will niemand gern glauben, und mich dünkt, man kann's mit Hän- den greifen. Ich geſtehe dir gern, denn ich weis, was du mir hierauf ſagen möchteſt, daß diejenige die glük- lichſten ſind, die gleich den Kindern in Tag hinein leben, ihre Puppe herum ſchleppen, aus und an- ziehen, und mit großem Reſpekte um die Schubla- de herumſchleichen, wo Mama das Zuckerbrod hinein verſchloſſen hat, und wenn ſie das gewünſch- te endlich erhaſchen, es mit vollen Bakken verzeh- ren, und rufen: Mehr! das ſind glükliche Ge- ſchöpfe! ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 19 ſchöpfe! Auch denen iſts wohl, die ihren Lumpen- beſchäftigungen, oder wohl gar ihren Leidenſchaf- ten prächtige Titel geben, und ſie dem Menſchen- geſchlechte als Rieſenoperationen zu deſſen Heil und Wohlfahrt anſchreiben. Wohl dem, der ſo ſeyn kann! Wer aber in ſeiner Demuth erkennt, wo das alles hinausläuft, der ſo ſieht, wie artig jeder Bürger, dem's wohl iſt, ſein Gärtchen zum Para- dieſe zuzuſtuzzen weis, und wie unverdroſſen dann doch auch der Unglükliche unter der Bürde ſeinen Weg fortkeicht, und alle gleich intereſſirt ſind, das Licht dieſer Sonne noch eine Minute länger zu ſehn, ja! der iſt ſtill und bildet auch ſeine Welt aus ſich ſelbſt, und iſt auch glüklich, weil er ein Menſch iſt. Und dann, ſo eingeſchränkt er iſt, hält er doch immer im Herzen das ſüſſe Gefühl von Freyheit, und daß er dieſen Kerker verlaſſen kann, wann er will. * am 26. May. || Du kennſt von Alters her meine Art, mich an- ||||| zubauen, irgend mir an einem vertraulichen Orte ein Hüttchen aufzuſchlagen, und da mit aller B 2 Ein- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 20 <<<<<<<<<<<<<<< Einſchränkung zu herbergen. Ich hab auch hier wieder ein Pläzchen angetroffen, das mich ange- zogen hat. Ohngefähr eine Stunde von der Stadt liegt ein Ort, den ſie Wahlheim *) nennen. Die Lage an einem Hügel iſt ſehr intereſſant, und wenn man oben auf dem Fußpfade zum Dorfe heraus geht, überſieht man mit Einem das ganze Thal. Eine gute Wirthin, die gefällig und munter in ihrem Alter iſt, ſchenkt Wein, Bier, Caffee, und was über alles geht, ſind zwey Linden, die mit ihren ausgebreiteten Aeſten den kleinen Plaz vor der Kirche bedecken, der ringsum mit Bauerhäuſern Scheuern und Höfen eingeſchloſſen iſt. So ver- traulich, ſo heimlich hab ich nicht leicht ein Pläzchen gefunden, und dahin laß ich mein Tiſchchen aus dem Wirthshauſe bringen und meinen Stuhl, und trinke meinen Caffee da, und leſe meinen Homer. Das *) Der Leſer wird ſich keine Mühe geben, die hier genannten Orte zu ſuchen, man hat ſich genöthigt geſehen, die im Originale befindli- chen wahren Nahmen zu verändern. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 21 Das erſtemal als ich durch einen Zufall an ei- nem ſchönen Nachmittage unter die Linden kam, fand ich das Pläzchen ſo einſam. Es war alles im Felde. Nur ein Knabe von ohngefähr vier Iahren ſaß an der Erde, und hielt ein andres et- wa halbjähriges vor ihm zwiſchen ſeinen Füſſen ſitzendes Kind mit beyden Armen wider ſeine Bruſt, ſo daß er ihm zu einer Art von Seſſel diente, und ohngeachtet der Munterkeit, womit er aus ſeinen ſchwarzen Augen herumſchaute, ganz ruhig ſaß. Mich vergnügte der Anblik, und ich ſezte mich auf einen Pflug, der gegen über ſtund, und zeichnete die brüderliche Stellung mit vielem Ergözzen, ich fügte den nächſten Zaun, ein Ten- nenthor und einige gebrochne Wagenräder bey, wie es all hintereinander ſtund, und fand nach Ver- lauf einer Stunde, daß ich eine wohlgeordnete ſehr intereſſante Zeichnung verfertigt hatte, ohne das mindeſte von dem meinen hinzuzuthun. Das be- ſtärkte mich in meinem Vorſazze, mich künftig allein an die Natur zu halten. Sie allein iſt unend- lich reich, und ſie allein bildet den großen Künſt- ler. Man kann zum Vortheile der Regeln viel B 3 ſagen, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 22 <<<<<<<<<<<<<<< ſagen, ohngefähr was man zum Lobe der bürger- lichen Geſellſchaft ſagen kann. Ein Menſch, der ſich nach ihnen bildet, wird nie etwas abgeſchmak- tes und ſchlechtes hervor bringen, wie einer, der ſich durch Geſezze und Wohlſtand modeln läßt, nie ein unerträglicher Nachbar, nie ein merkwür- diger Böſewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von Natur und den wahren Aus- druk derſelben zerſtören! ſagſt du, das iſt zu hart! Sie ſchränkt nur ein, beſchneidet die geilen Re- ben &c. Guter Freund, ſoll ich Dir ein Gleichniß geben: es iſt damit wie mit der Liebe, ein jun- ges Herz hängt ganz an einem Mädchen, bringt alle Stunden ſeines Tags bey ihr zu, verſchwen- det all ſeine Kräfte, all ſein Vermögen, um ihr je- den Augenblik auszudrükken, daß er ſich ganz ihr hingiebt. Und da käme ein Philiſter, ein Mann, der in einem öffentlichen Amte ſteht, und ſagte zu ihm: feiner junger Herr, lieben iſt menſch- lich, nur müßt ihr menſchlich lieben! Theilet eu- re Stunden ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsſtunden widmet eurem Mädchen, berech- net ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 23 net euer Vermögen, und was euch von eurer Nothdurft übrig bleibt, davon verwehr ich euch nicht ihr ein Geſchenk, nur nicht zu oft, zu ma- chen. Etwa zu ihrem Geburts- und Namens- tage &c. - Folgt der Menſch, ſo giebts einen brauch- baren jungen Menſchen, und ich will ſelbſt jedem Fürſten rathen, ihn in ein Collegium zu ſezzen, nur mit ſeiner Liebe iſt's am Ende, und wenn er ein Künſtler iſt, mit ſeiner Kunſt. O meine Freunde! warum der Strom des Genies ſo ſel- ten ausbricht, ſo ſelten in hohen Fluthen herein- brauſt und eure ſtaunende Seele erſchüttert. Lie- ben Freunde, da wohnen die gelaßnen Kerls auf beyden Seiten des Ufers, denen ihre Gartenhäus- chen, Tulpenbeete, und Krautfelder zu Grunde ge- hen würden, und die daher in Zeiten mit däm- men und ableiten der künftig drohenden Gefahr abzuwehren wiſſen. * am 27 May. || Ich bin, wie ich ſehe, in Verzükkung, Gleichniſſe ||||| und Deklamation verfallen, und habe drüber vergeſſen, dir auszuerzählen, was mit den Kindern B 4 weiter ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 24 >>>>>>>>>>>>>>> weiter worden iſt. Ich ſaß ganz in mahleriſche Empfindungen vertieft, die dir mein geſtriges Blatt ſehr zerſtükt darlegt, auf meinem Pfluge wohl zwey Stunden. Da kommt gegen Abend eine junge Frau auf die Kinder los, die ſich die Zeit nicht gerührt hatten, mit einem Körbchen am Arme, und ruft von weitem: Philips, du biſt recht brav. Sie grüßte mich, ich dankte ihr, ſtand auf, trat näher hin, und fragte ſie: ob ſie Mutter zu den Kindern wäre? Sie bejahte es, und in- dem ſie dem Aelteſten einen halben Wek gab, nahm ſie das Kleine auf und küßte es mit aller mütter- lichen Liebe. Ich habe, ſagte ſie, meinem Philips das Kleine zu halten gegeben, und bin in die Stadt gegangen mit meinem Aeltſten, um weis Brod zu holen, und Zukker, und ein irden Brey- pfännchen; ich ſah das alles in dem Korbe, deſ- ſen Dekkel abgefallen war. Ich will meinem Hans (das war der Nahme des Iüngſten) ein Süppchen kochen zum Abende, der loſe Vogel der Große hat mir geſtern das Pfännchen zerbrochen, als er ſich mit Philipſen um die Scharre des Brey's zankte. Ich fragte nach dem Aeltſten, und ſie hatte mir kaum ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 25 kaum geſagt, daß er auf der Wieſe ſich mit ein Paar Gänſen herumjagte, als er hergeſprungen kam, und dem zweyten eine Haſelgerte mitbrach- te. Ich unterhielt mich weiter mit dem Weibe, und erfuhr, daß ſie des Schulmeiſters Tochter ſey, und daß ihr Mann eine Reiſe in die Schweiz ge- macht habe, um die Erbſchaft eines Vettern zu ho- len. Sie haben ihn drum betrügen wollen, ſagte ſie, und ihm auf ſeine Briefe nicht geantwortet, da iſt er ſelbſt hineingegangen. Wenn ihm nur kein Unglük paſſirt iſt, ich höre nichts von ihm. Es ward mir ſchwer, mich von dem Weibe loszu- machen, gab jedem der Kinder einen Kreuzer, und auch für's jüngſte gab ich ihr einen, ihm einen Wek mitzubringen zur Suppe, wenn ſie in die Stadt gieng, und ſo ſchieden wir von einander. Ich ſage dir, mein Schaz, wenn meine Sinnen gar nicht mehr halten wollen, ſo linderts all den Tumult, der Anblik eines ſolchen Geſchöpfs, das in der glüklichen Gelaſſenheit ſo den engen Kreis ſeines Daſeyns ausgeht, von einem Tag zum an- dern ſich durchhilft, die Blätter abfallen ſieht, und nichts dabey denkt, als daß der Winter kömmt. B 5 Seit ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 26 >>>>>>>>>>>>>>> Seit der Zeit bin ich oft draus, die Kinder ſind ganz an mich gewöhnt. Sie kriegen Zukker, wenn ich Caffee trinke, und theilen das Butterbrod und die ſaure Milch mit mir des Abends. Sonn- tags fehlt ihnen der Kreuzer nie, und wenn ich nicht nach der Betſtunde da bin, ſo hat die Wir- thin Ordre, ihn auszubezahlen. Sie ſind vertraut, erzählen mir allerhand, und beſonders ergözz' ich mich an ihren Leidenſchaf- ten und ſimplen Ausbrüchen des Begehrens, wenn mehr Kinder aus dem Dorfe ſich verſammeln. Viel Mühe hat mich's gekoſtet, der Mutter ihre Beſorgniß zu benehmen: ,,Sie möchten den Herrn inkommodiren.,, * am 16. Iuny. || Warum ich dir nicht ſchreibe? Fragſt du das ||||| und biſt doch auch der Gelehrten einer. Du ſollteſt rathen, daß ich mich wohl befinde, und zwar - Kurz und gut, ich habe eine Bekannt- ſchaft gemacht, die mein Herz näher angeht. Ich habe - ich weis nicht. Dir ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 27 Dir in der Ordnung zu erzählen, wie's zu- gegangen iſt, daß ich ein's der liebenswürdigſten Geſchöpfe habe kennen lernen, wird ſchwerer hal- ten; ich bin vergnügt und glüklich, und ſo kein guter Hiſtorienſchreiber. Einen Engel! Pfuy! das ſagt jeder von der ſeinigen! Nicht wahr? Und doch bin ich nicht im Stande, dir zu ſagen, wie ſie vollkommen iſt, warum ſie vollkommen iſt, genug, ſie hat all mei- nen Sinn gefangen genommen. So viel Einfalt bey ſo viel Verſtand, ſo viel Güte bey ſo viel Feſtigkeit, und die Ruhe der Seele bey dem wahren Leben und der Thätigkeit. - Das iſt alles garſtiges Gewäſche, was ich da von ihr ſage, leidige Abſtraktionen, die nicht einen Zug ihres Selbſt ausdrükken. Ein andermal - Nein, nicht ein andermal, jezt gleich will ich dir's erzählen. Thu ich's jezt nicht, geſchäh's nie- mals. Denn, unter uns, ſeit ich angefangen ha- be zu ſchreiben, war ich ſchon dreymal im Be- griffe die Feder niederzulegen, mein Pferd ſatteln zu laſſen und hinaus zu reiten, und doch ſchwur ich mir heut früh nicht hinaus zu reiten - und gehe ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 28 <<<<<<<<<<<<<<< gehe doch alle Augenblikke ans Fenſter zu ſehen, wie hoch die Sonne noch ſteht. Ich hab's nicht überwinden können, ich mußte zu ihr hinaus. Da bin ich wieder, Wilhelm, und will mein Butterbrod zu Nacht eſſen und dir ſchrei- ben. Welch eine Wonne das für meine Seele iſt, ſie in dem Kreiſe der lieben muntern Kinder ihrer acht Geſchwiſter zu ſehen! - Wenn ich ſo fortfahre, wirſt du am Ende ſo klug ſeyn wie am Anfange, höre denn, ich will mich zwingen ins Detail zu gehen. Ich ſchrieb Dir neulich, wie ich den Amtmann S. habe kennen lernen, und wie er mich gebeten habe, ihn bald in ſeiner Einſiedeley, oder vielmehr ſeinem kleinen Königreiche zu beſuchen. Ich ver- nachläßigte das, und wäre vielleicht nie hingekom- men, hätte mir der Zufall nicht den Schaz ent- dekt, der in der ſtillen Gegend verborgen liegt. Unſere jungen Leute hatten einen Ball auf dem Lande angeſtellt, zu dem ich mich denn auch willig finden ließ. Ich bot einem hieſigen guten, ſchönen, weiters unbedeutenden Mädchen die Hand, und es wurde ausgemacht, daß ich eine Kutſche nehmen, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 29 nehmen, mit meiner Tänzerinn und ihrer Baaſe nach dem Orte der Luſtbarkeit hinausfahren, und auf dem Wege Charlotten S. mitnehmen ſollte. Sie werden ein ſchönes Frauenzimmer kennen ler- nen, ſagte meine Geſellſchafterinn da wir durch den weiten ſchön ausgehauenen Wald nach dem Iagdhauſe fuhren. Nehmen Sie ſich in Acht, ver- ſezte die Baaſe, daß Sie ſich nicht verlieben! Wie ſo? ſagt' ich: Sie iſt ſchon vergeben, ant- wortete jene, an einen ſehr braven Mann der weggereiſt iſt, ſeine Sachen in Ordnung zu brin- gen nach ſeines Vaters Tod, und ſich um eine anſehnliche Verſorgung zu bewerben. Die Nach- richt war mir ziemlich gleichgültig. Die Sonne war noch eine Viertelſtunde vom Gebürge, als wir vor dem Hofthore anfuh- ren, es war ſehr ſchwühle, und die Frauenzimmer äuſſerten ihre Beſorgniß wegen eines Gewitters, das ſich in weisgrauen dumpfigen Wölkchen rings am Horizonte zuſammen zu ziehen ſchien. Ich täuſchte ihre Furcht mit anmaßlicher Wetterkunde, ob ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 30 <<<<<<<<<<<<<<< ob mir gleich ſelbſt zu ahnden anfieng, unſere Luſt- barkeit werde einen Stoß leiden. Ich war ausgeſtiegen. Und eine Magd, die an's Thor kam, bat uns, einen Augenblik zu ver- ziehen, Mamſell Lottchen würde gleich kommen. Ich gieng durch den Hof nach dem wohlgebauten Hauſe, und da ich die vorliegenden Treppen hinaufgeſtie- gen war und in die Thüre trat, fiel mir das rei- zendſte Schauſpiel in die Augen, das ich jemals geſehen habe. In dem Vorſaale wimmelten ſechs Kinder, von eilf zu zwey Iahren, um ein Mäd- chen von ſchöner mittlerer Taille, die ein ſimples weiſſes Kleid mit blaßrothen Schleifen an Arm und Bruſt anhatte. Sie hielt ein ſchwarzes Brod und ſchnitt ihren Kleinen rings herum jedem ſein Stük nach Proportion ihres Alters und Appe- tites ab, gabs jedem mit ſolcher Freundlichkeit, und jedes rufte ſo ungekünſtelt ſein: Danke! in- dem es mit den kleinen Händchen lang in die Höh gereicht hatte, eh es noch abgeſchnitten war, und nun mit ſeinem Abendbrode vergnügt entweder wegſprang, oder nach ſeinem ſtillern Charakter ge- laſſen davon nach dem Hofthore zugieng, um die Frem- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 31 Fremden und die Kutſche zu ſehen, darinnen ihre Lotte wegfahren ſollte. Ich bitte um Vegebung, ſagte ſie, daß ich Sie herein bemühe, und die Frauen- zimmer warten laſſe. Ueber dem Anziehen und allerley Beſtellungen für's Haus in meiner Ab- weſenheit, habe ich vergeſſen meinen Kindern ihr Veſperſtük zu geben, und ſie wollen von nieman- den Brod geſchnitten haben als von mir. Ich machte ihr ein unbedeutendes Compliment, und meine ganze Seele ruhte auf der Geſtalt, dem Tone, dem Betragen, und hatte eben Zeit, mich von der Ueberraſchung zu erholen, als ſie in die Stube lief ihre Handſchuh und Fächer zu nehmen. Die Kleinen ſahen mich in einiger Entfernung ſo von der Seite an, und ich gieng auf das jüngſte los, das ein Kind von der glüklichſten Geſichts- bildung war. Es zog ſich zurük, als eben Lotte zur Thüre herauskam, und ſagte: Louis, gieb dem Herrn Vetter eine Hand. Das that der Knabe ſehr freymüthig, und ich konnte mich nicht ent- halten, ihn ohngeachtet ſeines kleinen Roznäs- chens herzlich zu küſſen. Vetter, ſagt' ich, in- dem ich ihr die Hand reichte, glauben Sie, daß ich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 32 <<<<<<<<<<<<<<< ich des Glüks werth ſey, mit Ihnen verwandt zu ſeyn. O! ſagte ſie, mit einem leichtfertigen Lächeln, unſere Vetterſchaft iſt ſehr weitläuftig, und es wä- re mir leid, wenn Sie der Schlimmſte drunter ſeyn ſollten. Im Gehen gab ſie Sophien, der ältſten Schweſter nach ihr, einem Mädchen von ohnge- fähr eilf Iahren, den Auftrag, wohl auf die Klei- nen Acht zu haben, und den Papa zu grüſſen, wenn er vom Spazierritte zurükkäme. Den Klei- nen ſagte ſie, ſie ſollten ihrer Schweſter Sophie folgen, als wenn ſie's ſelbſt wäre, das denn auch einige ausdrüklich verſprachen. Eine kleine nas- weiſe Blondine aber, von ohngefähr ſechs Iahren, ſagte: du biſt's doch nicht, Lottchen! wir haben dich doch lieber. Die zwey ältſten der Knaben waren hinten auf die Kutſche geklettert, und auf mein Vorbitten erlaubte ſie ihnen, bis vor den Wald mit zu fahren, wenn ſie verſprächen, ſich nicht zu necken, und ſich recht feſt zu halten. Wir hatten uns kaum zurecht geſezt, die Frauenzimmer ſich bewillkommt, wechſelsweis über den Anzug und vorzüglich die Hütchen ihre An- merkungen gemacht, und die Geſellſchaft, die man zu ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 33 zu finden erwartete, gehörig durchgezogen; als Lotte den Kutſcher halten, und ihre Brüder herabſteigen lies, die noch einmal ihre Hand zu küſſen begehr- ten, das denn der ältſte mit aller Zärtlichkeit, die dem Alter von funfzehn Iahren eigen ſeyn kann, der andere mit viel Heftigkeit und Leichtſinn that. Sie ließ die Kleinen noch einmal grüßen, und wir fuhren weiter. Die Baaſe fragte: ob ſie mit dem Buche fertig wäre, das ſie ihr neulich geſchickt hätte. Nein, ſagte Lotte, es gefällt mir nicht, ſie könnens wieder haben. Das vorige war auch nicht beſſer. Ich erſtaunte, als ich fragte: was es für Bücher wären, und ſie mir antwortete: *) - Ich fand ſo viel Cha- rakter in allem was ſie ſagte, ich ſah mit jedem Worte *) Man ſieht ſich genöthigt, dieſe Stelle des Briefs zu unterdrücken, um niemand Ge- legenheit zu einiger Beſchwerde zu geben. Ob gleich im Grunde jedem Autor wenig an dem Urtheile eines einzelnen Mädgens, und eines jungen unſteten Menſchen gelegen ſeyn kann. C ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 34 >>>>>>>>>>>>>>> Wort neue Reize, neue Strahlen des Geiſtes aus ihren Geſichtszügen hervorbrechen, die ſich nach und nach vergnügt zu entfalten ſchienen, weil ſie an mir fühlte, daß ich ſie verſtund. Wie ich jünger war, ſagte ſie, liebte ich nichts ſo ſehr als die Romanen. Weis Gott wie wohl mir's war, mich ſo Sonntags in ein Eckgen zu ſezzen, und mit ganzem Herzen an dem Glükke und Unſtern einer Miß Ienny Theil zu nehmen. Ich läugne auch nicht, daß die Art noch einige Reize für mich hat. Doch da ich ſo ſelten an ein Buch komme, ſo müſſen ſie auch recht nach meinem Ge- ſchmakke ſeyn. Und der Autor iſt mir der liebſte, indem ich meine Welt wieder finde, bey dem's zugeht wie um mich, und deſſen Geſchichte mir doch ſo intereſſant ſo herzlich wird, als mein ei- gen häuslich Leben, das freylich kein Paradies, aber doch im Ganzen eine Quelle unſäglicher Glükſeligkeit iſt. Ich bemühte mich, meine Bewegungen über dieſe Worte zu verbergen. Das gieng freylich nicht weit, denn da ich ſie mit ſolcher Wahrheit im ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 35 im Vorbeygehn vom Landprieſter von Wakefield vom *) - reden hörte, kam ich eben auſſer mich und ſagte ihr alles was ich mußte, und bemerkte erſt nach einiger Zeit, da Lotte das Geſpräch an die andern wendete, daß dieſe die Zeit über mit offnen Augen, als ſäßen ſie nicht da, da geſeſſen hatten. Die Baaſe ſah mich mehr als einmal mit einem ſpöttiſchen Näsgen an, daran mir aber nichts gelegen war. Das Geſpräch fiel auf das Vergnügen am Tanze. Wenn dieſe Leidenſchaft ein Fehler iſt, ſag- te Lotte, ſo geſteh ich ihnen gern, ich weis nichts über's Tanzen. Und wenn ich was im Kopfe habe, und mir auf meinem verſtimmten Kla- viere einen Contretanz vortrommle, ſo iſt alles wieder gut. C 2 Wie *) Man hat auch hier die Namen einiger va- terländiſchen Autoren ausgelaſſen. Wer Theil an Lottens Beyfall hatte, wird es ge- wiß an ſeinem Herzen fühlen, wenn er die- ſe Stelle leſen ſollte. Und ſonſt brauchts ja niemand zu wiſſen. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 36 >>>>>>>>>>>>>>> Wie ich mich unter dem Geſpräche in den ſchwarzen Augen weidete, wie die lebendigen Lip- pen und die friſchen muntern Wangen meine gan- ze Seele anzogen, wie ich in den herrlichen Sinn ihrer Rede ganz verſunken, oft gar die Wor- te nicht hörte, mit denen ſie ſich ausdrukte! Da- von haſt du eine Vorſtellung, weil du mich kennſt. Kurz, ich ſtieg aus dem Wagen wie ein Träumen- der, als wir vor dem Luſthauſe ſtill hielten, und war ſo in Träumen rings in der dämmernden Welt verlohren, daß ich auf die Muſik kaum ach- tete, die uns von dem erleuchteten Saale herun- ter entgegen ſchallte. Die zwey Herren Audran und ein gewiſſer N. N. wer behält all die Nahmen! die der Baa- ſe und Lottens Tänzer waren, empfiengen uns am Schlage, bemächtigten ſich ihrer Frauenzimmer und ich führte die meinige hinauf. Wir ſchlangen uns in Menuets um einan- der herum, ich forderte ein Frauenzimmer nach dem andern auf, und juſt die unleidlichſten konn- ten nicht dazu kommen, einem die Hand zu rei- chen, und ein Ende zu machen. Lotte und ihr Tänzer ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 37 Tänzer fiengen einen engliſchen an, und wie wohl mir's war, als ſie auch in der Reihe die Figur mit uns anfieng, magſt du fühlen. Tanzen muß man ſie ſehen. Siehſt du, ſie iſt ſo mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabey, ihr ganzer Körper, eine Harmonie, ſo ſorglos, ſo unbefan- gen, als wenn das eigentlich alles wäre, als wenn ſie ſonſt nichts dächte, nichts empfände, und in dem Augenblikke gewiß ſchwindet alles andere vor ihr. Ich bat ſie um den zweyten Contretanz, ſie ſag- te mir den dritten zu, und mit der liebenswürdig- ſten Freymüthigkeit von der Welt verſicherte ſie mich, daß ſie herzlich gern deutſch tanzte. Es iſt hier ſo Mode, fuhr ſie fort, daß jedes paar, das zuſammen gehört, beym Deutſchen zuſammen bleibt, und mein Chapeau walzt ſchlecht, und dankt mir's, wenn ich ihm die Arbeit erlaſſe, ihr Frauenzim- mer kann's auch nicht und mag nicht, und ich habe im Engliſchen geſehn, daß ſie gut walzen, wenn ſie nun mein ſeyn wollen für s Deutſche, ſo gehn ſie und bitten ſich's aus von meinem Herrn, ich will zu ihrer Dame gehn. Ich gab ihr die Hand C 3 drauf, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 38 <<<<<<<<<<<<<<< drauf und es wurde ſchon arrangirt, daß ihrem Tän- zer inzwiſchen die Unterhaltung meiner Tänzerinn aufgetragen ward. Nun giengs, und wir ergözten uns eine Weile an mannchfaltigen Schlingungen der Arme. Mit welchem Reize, mit welcher Flüchtigkeit beweg- te ſie ſich! Und da wir nun gar an's Walzen kamen, und wie die Sphären um einander herum- rollten, giengs freylich anfangs, weil's die wenigſten können, ein bisgen bunt durch einander. Wir wa- ren klug und lieſſen ſie austoben, und wie die un- geſchikteſten den Plan geräumt hatten, fielen wir ein, und hielten mit noch einem Paare, mit Audran und ſeiner Tänzerinn, wakker aus. Nie iſt mir's ſo leicht vom Flekke gegangen. Ich war kein Menſch mehr. Das liebenswürdigſte Geſchöpf in den Ar- men zu haben, und mit ihr herum zu fliegen wie Wetter, daß alles rings umher vergieng und - Wilhelm, um ehrlich zu ſeyn, that ich aber doch den Schwur, daß ein Mädchen, das ich liebte, auf das ich Anſprüche hätte, mir nie mit einem andern walzen ſollte, als mit mir, und wenn ich drüber zu Grunde gehen müßte, du verſtehſt mich. Wir ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 36 Wir machten einige Touren gehend im Saale, um zu verſchnauffen. Dann ſezte ſie ſich, und die Zitronen, die ich weggeſtohlen hatte beym Punſch machen, die nun die einzigen noch übrigen waren, und die ich ihr in Schnittchen, mit Zukker zur Erfri- ſchung brachte, thaten fürtrefliche Würkung, nur daß mir mit jedem Schnittgen das ihre Nachbarinn aus der Taſſe nahm, ein Stich durch's Herz gieng, der ich's nun freylich Schanden halber mit prä- ſentiren mußte. Beym dritten Engliſchen waren wir das zwey- te Paar. Wie wir die Reihe ſo durchtanzten, und ich, weis Gott mit wie viel Wonne, an ihrem Arme und Auge hieng, das voll vom wahrſten Ausdrukke des offenſten reinſten Vergnügens war, kommen wir an eine Frau, die mir wegen ihrer liebenswürdi- gen Mine auf einem nicht mehr ganz jungen Ge- ſichte, merkwürdig geweſen war. Sie ſieht Lotten lächelnd an, hebt einen drohenden Finger auf, und nennt den Nahmen Albert zweymal im Vorbey- fliegen mit viel Bedeutung. Wer iſt Albert, ſagte ich zu Lotten, wenns nicht Vermeſſenheit iſt zu fragen. Sie war im C 4 Begriff ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 40 >>>>>>>>>>>>>>> Begriffe zu antworten, als wir uns ſcheiden mußten, die groſſe Achte zu machen, und mich dünkte eini- ges Nachdenken auf ihrer Stirne zu ſehen, als wir ſo vor einander vorbeykreuzten. Was ſoll ich's ih- nen läugnen, ſagte ſie, indem ſie mir die Hand zur Promenade bot. Albert iſt ein braver Menſch, dem ich ſo gut als verlobt bin! Nun war mir das nichts neues, denn die Mädchen hatten mir's auf dem Wege geſagt, und war mir doch ſo ganz neu, weil ich das noch nicht im Verhältniſſe auf ſie, die mir in ſo wenig Augenblikken ſo werth geworden war, gedacht hatte. Genug ich verwirrte mich, ver- gaß mich, und kam zwiſchen das unrechte Paar hinein, daß alles drunter und drüber gieng, und Lot- tens ganze Gegenwart und Zerren und Ziehen nö- thig war, um's ſchnell wieder in Ordnung zu bringen. Der Tanz war noch nicht zu Ende, als die Blizze, die wir ſchon lange am Horizonte leuchten ge- ſehn, und die ich immer für Wetterkühlen ausge- geben hatte, viel ſtärker zu werden anfiengen, und der Donner die Muſik überſtimmte. Drey Frauen- zimmer liefen aus der Reihe, denen ihre Herren folgten, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 41 folgten, die Unordnung ward allgemein, und die Muſik hörte auf. Es iſt natürlich, wenn uns ein Unglük oder etwas ſchrökliches im Vergnügen über- raſcht, daß es ſtärkere Eindrükke auf uns macht, als ſonſt, theils wegen dem Gegenſazze, der ſich ſo leb- haft empfinden läßt, theils und noch mehr, weil un- ſere Sinnen einmal der Fühlbarkeit geöffnet ſind und alſo deſto ſchneller einen Eindruk annehmen. Dieſen Urſachen muß ich die wunderbaren Grimaſ- ſen zuſchreiben, in die ich mehrere Frauenzimmer ausbrechen ſah. Die Klügſte ſezte ſich in eine Ekke, mit dem Rüken gegen das Fenſter, und hielt die Ohren zu, eine andere kniete ſich vor ihr nie- der und verbarg den Kopf in der erſten Schoos, ei- ne dritte ſchob ſich zwiſchen beyde hinein, und um- faßte ihre Schweſterchen mit tauſend Thränen. Ei- nige wollten nach Hauſe, andere, die noch weniger wußten was ſie thaten, hatten nicht ſo viel Beſin- nungskraft, den Kekheiten unſerer jungen Schluk- kers zu ſteuern, die ſehr beſchäftigt zu ſeyn ſchie- nen, alle die ängſtlichen Gebete, die dem Himmel beſtimmt waren, von den Lippen der ſchönen Be- drängten wegzufangen. Einige unſerer Herren hat- C 5 ten ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 42 >>>>>>>>>>>>>>> ten ſich hinab begeben, um ein Pfeifchen in Ruhe zu rauchen, und die übrige Geſellſchaft ſchlug es nicht aus, als die Wirthinn auf den klugen Ein- fall kam, uns ein Zimmer anzuweiſen, das Läden und Vorhänge hätte. Kaum waren wir da ange- langt, als Lotte beſchäftigt war, einen Kreis von Stühlen zu ſtellen, die Geſellſchaft zu ſezzen, und den Vortrag zu einem Spiele zu thun. Ich ſahe manchen, der in Hoffnung auf ein ſaftiges Pfand ſein Mäulchen ſpizte, und ſeine Glie- der rekte. Wir ſpielen Zählens, ſagte ſie, nun gebt Acht! Ich gehe im Kreiſe herum von der Rech- ten zur Linken, und ſo zählt ihr auch rings herum jeder die Zahl die an ihn kommt, und das muß gehn wie ein Lauffeuer, und wer ſtokt, oder ſich irrt, kriegt eine Ohrfeige, und ſo bis tauſend. Nun war das luſtig anzuſehen. Sie gieng mit ausge- ſtrektem Arme im Kreiſe herum, Eins! fieng der er- ſte an, der Nachbar zwey! drey! der folgende und ſo fort; dann fieng ſie an geſchwinder zu gehn, immer geſchwinder. Da verſahs einer, Patſch ei- ne Ohrfeige, und über das Gelächter der folgende auch Patſch! Und immer geſchwinder. Ich ſelbſt kriegte ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 43 kriegte zwey Maulſchellen und glaubte mit innigem Vergnügen zu bemerken, daß ſie ſtärker ſeyen, als ſie ſie den übrigen zuzumeſſen pflegte. Ein allge- meines Gelächter und Geſchwärme machte dem Spiele ein Ende, ehe noch das Tauſend ausgezählt war. Die Vertrauteſten zogen einander beyſeite, das Gewitter war vorüber, und ich folgte Lotten in den Saal. Unterwegs ſagte ſie: über die Ohr- feigen haben ſie Wetter und alles vergeſſen! Ich konnte ihr nichts antworten. Ich war, fuhr ſie fort, eine der Furchtſamſten, und indem ich mich herzhaft ſtellte, um den andern Muth zu geben, bin ich muthig geworden. Wir traten an's Fen- ſter, es donnerte abſeitwärts und der herrliche Regen ſäuſelte auf das Land, und der erquikkend- ſte Wohlgeruch ſtieg in aller Fülle einer warmen Luft zu uns auf. Sie ſtand auf ihrem Ellenbo- gen geſtüzt und ihr Blik durchdrang die Gegend, ſie ſah gen Himmel und auf mich, ich ſah ihr Au- ge thränenvoll, ſie legte ihre Hand auf die mei- nige und ſagte - Klopſtock! Ich verſank in dem Strome von Empfindungen, den ſie in dieſer Loo- ſung über mich ausgoß. Ich ertrugs nicht, neig- te ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 44 <<<<<<<<<<<<<<< te mich auf ihre Hand und küßte ſie unter den wonnevolleſten Thränen. Und ſah nach ihrem Auge wieder - Edler! hätteſt du deine Vergöt- terung in dieſem Blikke geſehn, und möcht ich nun deinen ſo oft entweihten Nahmen nie wieder nennen hören! * am 19 Iuny. || Wo ich neulich mit meiner Erzählung geblieben ||||| bin, weis ich nicht mehr, das weis ich, daß es zwey Uhr des Nachts war, als ich zu Bette kam, und daß, wenn ich dir hätte vorſchwäzzen kön- nen, ſtatt zu ſchreiben, ich dich vielleicht bis an Tag aufgehalten hätte. Was auf unſerer Hereinfahrt vom Balle paſ- ſirt iſt, hab ich noch nicht erzählt, hab auch heute keinen Tag dazu. Es war der liebwürdigſte Sonnenaufgang. Der tröpfelnde Wald und das erfriſchte Feld um- her! Unſere Geſellſchafterinnen nikten ein. Sie fragte mich, ob ich nicht auch von der Parthie ſeyn wollte, ihrentwegen ſollt ich unbekümmert ſeyn. So lang ich dieſe Augen offen ſehe, ſagt' ich, und ſah ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 45 ſah ſie feſt an, ſo lang hats keine Gefahr. Und wir haben beyde ausgehalten, bis an ihr Thor, da ihr die Magd leiſe aufmachte, und auf ihr Fra- gen vom Vater und den Kleinen verſicherte, daß alles wohl ſey und noch ſchlief. Und da verließ ich ſie mit dem Verſichern: ſie ſelbigen Tags noch zu ſehn, und hab mein Verſprechen gehalten, und ſeit der Zeit können Sonne, Mond und Sterne geruhig ihre Wirthſchaft treiben, ich weis weder daß Tag noch daß Nacht iſt, und die ganze Welt verliert ſich um mich her. * am 21. Iuny. || Ich lebe ſo glükliche Tage, wie ſie Gott ſeinen ||||| Heiligen ausſpart, und mit mir mag werden was will; ſo darf ich nicht ſagen, daß ich die Freu- den, die reinſten Freuden des Lebens nicht genoſ- ſen habe. Du kennſt mein Wahlheim. Dort bin ich völlig etablirt. Von dort hab ich nur eine hal- be Stunde zu Lotten, dort fühl ich mich ſelbſt und alles Glük, das dem Menſchen gegeben iſt. Hätte ich gedacht, als ich mir Wahlheim zum Zwekke meiner Spaziergänge wählte, daß es ſo nahe ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 46 >>>>>>>>>>>>>>> nahe am Himmel läge! Wie oft habe ich das Iagdhaus, das nun alle meine Wünſche einſchließt, auf meinen weiten Wandrungen bald vom Berge, bald in der Ebne über den Fluß geſehn. Lieber Wilhelm, ich habe allerley nachgedacht, über die Begier im Menſchen ſich auszubreiten, neue Entdekkungen zu machen, herumzuſchweifen; und dann wieder über den innern Trieb, ſich der Einſchränkung willig zu ergeben, und in dem Glei- ſe der Gewohnheit ſo hinzufahren, und ſich weder um rechts noch links zu bekümmern. Es iſt wunderbar, wie ich hierher kam und vom Hügel in das ſchöne Thal ſchaute, wie es mich rings umher anzog. Dort das Wäldchen! Ach könnteſt du dich in ſeine Schatten miſchen! Dort die Spizze des Bergs! Ach könnteſt du von da die weite Gegend überſchauen! Die in einander gekettete Hügel und vertrauliche Thäler. O könnte ich mich in ihnen verliehren! - Ich eilte hin! und kehrte zurük, und hatte nicht gefunden was ich hoffte. O es iſt mit der Ferne wie mit der Zu- kunft! Ein groſſes dämmerndes Ganzes ruht vor unſerer Seele, unſere Empfindung verſchwimmt ſich darinne, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 47 darinne, wie unſer Auge, und wir ſehnen uns, ach! unſer ganzes Weſen hinzugeben, uns mit all der Wonne eines einzigen groſſen herrlichen Gefühls ausfüllen zu laſſen. - Und ach, wenn wir hinzu- eilen, wenn das Dort nun Hier wird, iſt alles vor wie nach, und wir ſtehen in unſerer Armuth, in unſerer Eingeſchränktheit, und unſere Seele lechzt nach entſchlüpftem Labſale. Und ſo ſehnt ſich der unruhigſte Vagabund zulezt wieder nach ſeinem Vaterlande, und findet in ſeiner Hütte, an der Bruſt ſeiner Gattin, in dem Kreiſe ſeiner Kinder und der Geſchäfte zu ih- rer Erhaltung, all die Wonne, die er in der weiten öden Welt vergebens ſuchte. Wenn ich ſo des Morgens mit Sonnen- aufgange hinausgehe nach meinem Wahlheim, und dort im Wirthsgarten mir meine Zukkererbſen ſelbſt pflükke, mich hinſezze, und ſie abfädme und dazwi- ſchen leſe in meinem Homer. Wenn ich denn in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter ausſteche, meine Schoten an's Feuer ſtelle, zudekke und mich dazu ſezze, ſie manchmal umzu- ſchütteln. Da fühl ich ſo lebhaft, wie die herrli- chen ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 48 <<<<<<<<<<<<<<< chen übermüthigen Freyer der Penelope Ochſen und Schweine ſchlachten, zerlegen und braten. Es iſt nichts, das mich ſo mit einer ſtillen, wahren Empfindung ausfüllte, als die Züge patriarchali- ſchen Lebens, die ich, Gott ſey Dank, ohne Affek- tation in meine Lebensart verweben kann. Wie wohl iſt mir's, daß mein Herz die ſimple harmloſe Wonne des Menſchen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf ſeinen Tiſch bringt, das er ſelbſt gezogen, und nun nicht den Kohl allein, ſon- dern all die guten Tage, den ſchönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoß, und da er an dem fortſchreitenden Wachs- thume ſeine Freude hatte, alle in einem Augenblik- ke wieder mit genieſt. * am 29. Iuny. || Vorgeſtern kam der Medikus hier aus der Stadt ||||| hinaus zum Amtmanne und fand mich auf der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf mir herumkrabelten, andere mich nekten und wie ich ſie küzzelte, und ein groſſes Geſchrey mit ihnen verführte. Der Doktor, der eine ſehr dogmatiſche Drat- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 49 Dratpuppe iſt, und im Diskurs ſeine Manſchet- ten in Falten legt, und den Kräuſel bis zum Na- bel herauszupft, fand dieſes unter der Würde eines geſcheuten Menſchen, das merkte ich an ſeiner Na- ſe. Ich lies mich aber in nichts ſtören, lies ihn ſehr vernünftige Sachen abhandeln, und baute den Kindern ihre Kartenhäuſer wieder, die ſie zer- ſchlagen hatten. Auch gieng er darauf in der Stadt herum und beklagte: des Amtmanns Kin- der wären ſchon ungezogen genug, der Werther verdürbe ſie nun völlig. Ia, lieber Wilhelm, meinem Herzen ſind die Kinder am nächſten auf der Erde. Wenn ich ſo zuſehe und in dem kleinen Dinge die Keime aller Tugenden, aller Kräfte ſehe, die ſie einmal ſo nö- thig brauchen werden, wenn ich in dem Eigenſinne, alle die künftige Standhaftigkeit und Feſtigkeit des Charakters, in dem Muthwillen, allen künftigen gu- ten Humor und die Leichtigkeit, über alle die Ge- fahren der Welt hinzuſchlüpfen, erblikke, alles ſo un- verdorben, ſo ganz! Immer, immer wiederhol ich die goldnen Worte des Lehrers der Menſchen: wenn ihr nicht werdet wie eines von dieſen! Und D nun, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 50 <<<<<<<<<<<<<<< nun, mein Beſter, ſie, die unſers gleichen ſind, die wir als unſere Muſter anſehen ſollten; behandeln wir als Unterthanen. Sie ſollen keinen Willen haben! - Haben wir denn keinen? und wo liegt das Vorrecht? - Weil wir älter ſind und geſcheuter? - Guter Gott von deinem Himmel, alte Kinder ſiehſt du, und junge Kinder und nichts wei- ter, und an welchen du mehr Freude haſt, das hat dein Sohn ſchon lange verkündigt. Aber ſie glau- ben an ihn und hören ihn nicht, das iſt auch was alt's, und bilden ihre Kinder nach ſich und - Adieu, Wilhelm, ich mag darüber nicht weiter radotiren. * am 1. Iuli. || Was Lotte einem Kranken ſeyn muß, fühl ich ||||| an meinem eignen armen Herzen, das übler dran iſt als manches das auf dem Siechbette verſchmachtet. Sie wird einige Tage in der Stadt bey einer rechtſchaffenen Frau zubringen, die ſich nach der Auſſage der Aerzte ihrem Ende naht, und in dieſen lezten Augenblikken will ſie Lotten um ſich haben. Ich war vorige Woche mit ihr den ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 51 den Pfarrer von St. . . zu beſuchen, ein Oertgen, das eine Stunde ſeitwärts im Gebürge liegt. Wir kamen gegen viere dahin. Lotte hatte ihre zwey- te Schweſter mitgenommen. Als wir in den, von zwey hohen Nußbäumen überſchatteten, Pfarrhof traten, ſaß der gute alte Mann auf einer Bank vor der Hausthüre, und da er Lotten ſah, ward er wie neubelebt, vergaß ſeinen Knotenſtok, und wagte ſich auf ihr entgegen. Sie lief hin zu ihm, nöthigte ihn ſich niederzuſezzen, indem ſie ſich zu ihm ſezte, brachte viel Grüſſe von ihrem Vater, herzte ſeinen garſtigen ſchmuzigen jüngſten Buben, das Quakelgen ſeines Alters. Du hätteſt ſie ſehen ſollen, wie ſie den Alten beſchäftigte, wie ſie ihre Stimme erhub um ſeinen halb tauben Ohren vernehmlich zu werden, wie ſie ihm erzählte von jungen robuſten Leuten, die unvermuthet geſtorben wären, von der Vortreflichkeit des Carlſbades, und wie ſie ſeinen Entſchluß lobte, künftigen Sommer hinzugehen, und wie ſie fand, daß er viel beſſer ausſähe, viel munterer ſey als das leztemal, da ſie ihn geſehn. Ich hatte indeß der Frau Pfar- rern meine Höflichkeiten gemacht, der Alte wurde D 2 ganz ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 52 >>>>>>>>>>>>>>> ganz munter, und da ich nicht umhin konnte, die ſchönen Nußbäume zu loben, die uns ſo lieblich be- ſchatteten, fieng er an, uns, wiewohl mit einiger Be- ſchwerlichkeit, die Geſchichte davon zu geben. Den alten ſagte er, wiſſen wir nicht, wer den gepflanzt hat, einige ſagen dieſer, andere jener Pfarrer. Der jüngere aber dorthinten iſt ſo alt als meine Frau, im Oktober funfzig Iahre. Ihr Vater pflanzte ihn des Morgens, als ſie gegen Abend gebohren wurde. Er war mein Vorfahr im Amte, und wie lieb ihm der Baum war, iſt nicht zu ſagen, mir iſt er's gewiß nicht weniger, meine Frau ſas drunter auf einem Balken und ſtrikte, als ich vor ſieben und zwanzig Iahren als ein armer Stu- dent zum erſtenmal hier in Hof kam. Lotte frag- te nach ſeiner Tochter, es hieß, ſie ſey mit Herrn Schmidt auf der Wieſe hinaus zu den Arbeitern, und der Alte fuhr in ſeiner Erzählung fort, wie ſein Vorfahr ihn lieb gewonnen und die Tochter dazu, und wie er erſt ſein Vikar und dann ſein Nachfolger geworden. Die Geſchichte war nicht lange zu Ende, als die Iungfer Pfarrern mit dem ſogenannten Herrn Schmidt durch den Garten her- kam, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 53 kam, ſie bewillkommte Lotten mit herzlicher Wärme, und ich muß ſagen, ſie gefiel mir nicht übel, eine raſche, wohlgewachſne Brünette, die einen die Kur- zeit über auf dem Lande wohl unterhalten hätte. Ihr Liebhaber, denn als ſolchen ſtellte ſich Herr Schmidt gleich dar, ein feiner, doch ſtiller Menſch, der ſich nicht in unſere Geſpräche miſchen wollte, ob ihn gleich Lotte immer herein zog, und was mich am meiſten betrübte, war, daß ich an ſeinen Geſichtszügen zu bemerken ſchien, es ſey mehr Ei- genſinn und übler Humor als Eingeſchränktheit des Verſtandes, der ihn ſich mitzutheilen hinder- te. In der Folge ward dieß nur leider zu deut- lich, denn als Friedrike beym Spazierengehn mit Lotten und verſchiedentlich auch mit mir gieng, wur- de des Herrn Angeſicht, das ohne das einer bräun- lichen Farbe war, ſo ſichtlich verdunkelt, daß es Zeit war, daß Lotte mich beym Ermel zupfte, und mir das Artigthun mit Friederiken abrieth. Nun verdrießt mich nichts mehr als wenn die Men- ſchen einander plagen, am meiſten, wenn junge Leute in der Blüthe des Lebens, da ſie am offen- ſten für alle Freuden ſeyn könnten, einander die D 3 paar ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 54 <<<<<<<<<<<<<<< paar gute Tage mit Frazzen verderben, und nur erſt zu ſpät das unerſezliche ihrer Verſchwendung einſehen. Mir wurmte das, und ich konnte nicht umhin, da wir gegen Abend in den Pfarrhof zu- rükkehrten, und an einem Tiſche gebroktes Brod in Milch aſſen, und der Diskurs auf Freude und Leid in der Welt roulirte, den Faden zu ergrei- fen, und recht herzlich gegen die üble Laune zu re- den. Wir Menſchen beklagen uns oft, fing ich an, daß der guten Tage ſo wenig ſind, und der ſchlimmen ſo viel, und wie mich dünkt, meiſt mit Unrecht. Wenn wir immer ein offenes Herz hät- ten das Gute zu genieſſen, das uns Gott für je- den Tag bereitet, wir würden alsdenn auch Kraft genug haben, das Uebel zu tragen, wenn es kommt. - Wir haben aber unſer Gemüth nicht in unſerer Gewalt, verſezte die Pfarrern, wie viel hängt vom Körper ab! wenn man nicht wohl iſt, iſt's einem überall nicht recht. - Ich geſtund ihr das ein. Wir wollens alſo, fuhr ich fort, als eine Krank- heit anſehen, und fragen ob dafür kein Mittel iſt! - Das läßt ſich hören, ſagte Lotte, ich glau- be wenigſtens, daß viel von uns abhängt, ich weis es ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 55 es an mir, wenn mich etwas nekt, und mich ver- drüßlich machen will, ſpring ich auf und ſing ein paar Contretänze den Garten auf und ab, gleich iſt's weg. - Das war's was ich ſagen wollte, verſezte ich, es iſt mit der üblen Laune völlig wie mit der Trägheit, denn es iſt eine Art von Träg- heit, unſere Natur hängt ſehr dahin, und doch, wenn wir nur einmal die Kraft haben uns zu erman- nen, geht uns die Arbeit friſch von der Hand, und wir finden in der Thätigkeit ein wahres Ver- gnügen. Friederike war ſehr aufmerkſam, und der junge Menſch wandte mir ein, daß man nicht Herr über ſich ſelbſt ſey, und am wenigſten über ſeine Empfindungen gebieten könne. Es iſt hier die Fra- ge von einer unangenehmen Empfindung, verſezt ich, die doch jedermann gern los iſt, und niemand weis wie weit ſeine Kräfte gehn, bis er ſie ver- ſucht hat. Gewiß, einer der krank iſt, wird bey allen Aerzten herum fragen und die größten Re- ſignationen, die bitterſten Arzneyen, wird er nicht abweiſen um ſeine gewünſchte Geſundheit zu er- halten. Ich bemerkte, daß der ehrliche Alte ſein Gehör anſtrengte um an unſerm Diskurs Theil D 4 zu ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 56 <<<<<<<<<<<<<<< zu nehmen, ich erhub die Stimme, indem ich die Rede gegen ihn wandte. Man predigt gegen ſo viele Laſter, ſagt ich, ich habe noch nie gehört daß man gegen die üble Laune vom Predigtſtuhle ge- arbeitet hätte *) - Das müßten die Stadtpfar- rer thun, ſagt er, die Bauern haben keinen böſen Humor, doch könnts auch nichts ſchaden zuweilen, es wäre eine Lektion für ſeine Frau wenigſtens, und den Herrn Amtmann. Die Geſellſchaft lach- te und er herzlich mit, bis er in einen Huſten verfiel, der unſern Diskurs eine Zeitlang unterbrach, darauf denn der junge Menſch wieder das Wort nahm: Sie nannten den böſen Humor ein La- ſter, mich däucht, das iſt übertrieben. - Mit nichten gab ich zur Antwort, wenn das, womit man ſich ſelbſt und ſeinen Nächſten ſchadet, den Namen verdient. Iſt es nicht genug, daß wir einander nicht glüklich machen können, müſſen wir auch noch einander das Vergnügen rauben, das je- des Herz ſich noch manchmal ſelbſt gewähren kann. Und *) Wir haben nun von Lavatern eine trefliche Predigt hierüber unter denen über das Buch Ionas. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 57 Und nennen ſie mir den Menſchen, der übler Lau- ne iſt und ſo brav dabey ſie zu verbergen, ſie al- lein zu tragen, ohne die Freuden um ſich her zu zerſtören; oder iſt ſie nicht vielmehr ein innerer Unmuth über unſre eigne Unwürdigkeit, ein Mis- fallen an uns ſelbſt, das immer mit einem Neide verknüpft iſt, der durch eine thörige Eitelkeit auf- gehezt wird: wir ſehen glükliche Menſchen die wir nicht glüklich machen, und das iſt unerträg- lich! Lotte lächelte mich an, da ſie die Bewegung ſah mit der ich redte, und eine Thräne in Frie- derikens Auge ſpornte mich, fortzufahren. Weh denen ſagt ich, die ſich der Gewalt bedienen, die ſie über ein Herz haben, um ihm die einfachen Freuden zu rauben, die aus ihm ſelbſt hervorkei- men. Alle Geſchenke, alle Gefälligkeiten der Welt erſezzen nicht einen Augenblik Vergnügen an ſich ſelbſt, den uns eine neidiſche Unbehaglichkeit un- ſers Tyrannen vergällt hat. Mein ganzes Herz war voll in dieſem Au- genblikke, die Erinnerung ſo manches Vergangenen drängte ſich an meine Seele, und die Thränen ka- men mir in die Augen. D 5 Wer ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 58 <<<<<<<<<<<<<<< Wer ſich das nur täglich ſagte, rief ich aus: du vermagſt nichts auf deine Freunde, als ihnen ihre Freude zu laſſen und ihr Glük zu vermeh- ren, indem du es mit ihnen genieſſeſt. Vermagſt du, wenn ihre innre Seele von einer ängſtigen- den Leidenſchaft gequält, vom Kummer zerrüttet iſt, ihnen einen Tropfen Linderung zu geben? Und wenn die lezte bangſte Krankheit dann über das Geſchöpf herfällt, das du in blühenden Tagen untergraben haſt, und ſie nun da liegt in dem erbärmlichen Ermatten, und das Aug gefühl- los gen Himmel ſieht, und der Todesſchweis auf ihrer Stirne abwechſelt, und du vor dem Bette ſtehſt wie ein Verdammter, in dem innigſten Ge- fühl, daß du nichts vermagſt mit all deinem Ver- mögen, und die Angſt dich inwendig krampft, daß du alles hingeben möchteſt, um dem untergehenden Geſchöpf einen Tropfen Stärkung, einen Funken Muth einflöſen zu können. Die Erinnerung einer ſolchen Scene, da ich gegenwärtig war, fiel mit ganzer Gewalt bey die- ſen Worten über mich. Ich nahm das Schnupf- tuch vor die Augen, und verlies die Geſellſchaft, und ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 59 und nur Lottens Stimme, die mir rief: wir woll- ten fort, brachte mich zu mir ſelbſt. Und wie ſie mich auf dem Wege ſchalt, über den zu warmen Antheil an allem! und daß ich drüber zu Grunde gehen würde! Daß ich mich ſchonen ſollte! O der Engel! Um deinetwillen muß ich leben! * am 6. Iuli. || Sie iſt immer um ihre ſterbende Freundinn, und ||||| iſt immer dieſelbe, immer das gegenwärtige holde Geſchöpf, das, wo ſie hinſieht, Schmerzen lin- dert und Glückliche macht. Sie gieng geſtern Abend mit Mariannen und dem kleinen Malgen ſpazieren, ich wußt es und traf ſie an, und wir giengen zuſammen. Nach einem Wege von andert- halb Stunden kamen wir gegen die Stadt zurück, an den Brunnen, der mir ſo werth iſt, und nun tauſendmal werther ward, als Lotte ſich auf's Mäuergen ſezte. Ich ſah umher, ach! und die Zeit, da mein Herz ſo allein war, lebte wieder vor mir auf. Lieber Brunn, ſagt ich, ſeither hab ich nicht mehr an deiner Kühle geruht, habe in eilen- dem ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 60 >>>>>>>>>>>>>>> dem Vorübergehn dich manchmal nicht angeſehn. Ich blikte hinab und ſah, daß Malgen mit einem Glaſe Waſſer ſehr beſchäftigt heraufſtieg. Ich ſahe Lotten an und fühlte alles, was ich an ihr habe. Indem ſo kommt Malgen mit einem Glaſe, Ma- rianne wollt es ihr abnehmen, nein! rufte das Kind mit dem ſüßten Ausdrukke: nein, Lottgen, du ſollſt zuerſt trinken! Ich ward über die Wahrheit, die Güte, womit ſie das ausrief, ſo entzükt, daß ich meine Empfindung mit nichts ausdrukken konnte, als ich nahm das Kind von der Erde und küßte es lebhaft, das ſogleich zu ſchreien und zu weinen an- fieng. Sie haben übel gethan, ſagte Lotte! Ich war betroffen. Komm Malgen, fuhr ſie fort, in- dem ſie es an der Hand nahm und die Stufen hinabführte; da waſche dich aus der friſchen Quelle geſchwind, geſchwind, da thut's nichts. Wie ich ſo da ſtund und zuſah, mit welcher Emſigkeit das Kleine mit ſeinen naſſen Händgen die Bakken rieb, mit welchem Glauben, daß durch die Wunderquelle alle Verunreinigung abgeſpült, und die Schmach abgethan würde, einen häſlichen Bart zu kriegen. Wie Lotte ſagte, es iſt genug, und das Kind doch immer ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 61 immer eifrig fort wuſch, als wenn Viel mehr thäte als Wenig. Ich ſage dir, Wilhelm, ich habe mit mehr Reſpekt nie einer Taufhandlung beygewohnt, und als Lotte herauf kam, hätte ich mich gern vor ihr niedergeworfen wie vor einem Propheten, der die Schulden einer Nation weggeweiht hat. Des Abends konnt ich nicht umhin, in der Freude meines Herzens den Vorfall einem Manne zu erzählen, dem ich Menſchenſinn zutraute, weil er Verſtand hat. Aber wie kam ich an. Er ſagte, das wäre ſehr übel von Lotten geweſen, man ſolle die Kinder nichts weis machen, dergleichen gäbe zu unzählichen Irrthümern und Aberglauben Anlaß, man müßte die Kinder frühzeitig davor bewahren. Nun fiel mir ein, daß der Mann vor acht Tagen hatte taufen laſſen, drum ließ ich's vorbey gehn, und blieb in meinem Herzen der Wahrheit getreu: wir ſollen es mit den Kindern machen, wie Gott mit uns, der uns am glüklichſten macht, wenn er uns im freundlichen Wahne ſo hintaumeln läßt. am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 62 >>>>>>>>>>>>>>> * am 8. Iuli. || Was man ein Kind iſt! Was man nach ſo ei- ||||| nem Blikke geizt! Was man ein Kind iſt! Wir waren nach Wahlheim gegangen, die Frauen- zimmer fuhren hinaus, und während unſrer Spa- ziergänge glaubt ich in Lottens ſchwarzen Augen - Ich bin ein Thor, verzeih mir's, du ſollteſt ſie ſehn, dieſe Augen. Daß ich kurz bin, denn die Augen fallen mir zu vom Schlaf. Siehe die Frauenzimmer ſteigen ein, da ſtunden um die Kut- ſche der junge W. . . Selſtadt und Audran, und ich. Da ward aus dem Schlage ge- plaudert mit den Kerlgens, die freylich leicht und lüftig genug waren. Ich ſuchte Lottens Augen! Ach ſie giengen von einem zum andern! Aber auf mich! Mich! Mich! der ganz allein auf ſie re- ſignirt daſtund, fielen ſie nicht! Mein Herz ſagte ihr tauſend Adieu! Und ſie ſah mich nicht! Die Kutſche fuhr vorbey und eine Thräne ſtund mir im Auge. Ich ſah ihr nach! Und ſah Lottens Kopfputz ſich zum Schlag heraus lehnen, und ſie wandte ſich um zu ſehn. Ach! Nach mir? - Lieber! ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 63 Lieber! In dieſer Ungewißheit ſchweb ich! Das iſt mein Troſt. Vielleicht hat ſie ſich nach mir umgeſehen. Vielleicht - Gute Nacht! O was ich ein Kind bin! * am 10. Iuli. || Die alberne Figur, die ich mache, wenn in Ge- ||||| ſellſchaft von ihr geſprochen wird, ſollteſt du ſehen. Wenn man mich nun gar fragt, wie ſie mir gefällt - Gefällt! das Wort haß ich in Tod. Was muß das für ein Kerl ſeyn, dem Lotte gefällt, dem ſie nicht alle Sinnen, alle Empfin- dungen ausfüllt. Gefällt! Neulich fragte mich ei- ner, wie mir Oſſian gefiele. * am 11. Iuli. || Frau M. . iſt ſehr ſchlecht, ich bete für ihr Le- ||||| ben, weil ich mit Lotten dulde. Ich ſeh ſie ſelten bey meiner Freundinn, und heut hat ſie mir einen wunderbaren Vorfall erzählt. Der alte M. . iſt ein geiziger rangiger Hund, der ſeine Frau im Leben was rechts geplagt und eingeſchränkt hat. Doch ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 64 >>>>>>>>>>>>>>> Doch hat ſich die Frau immer durchzuhelfen ge- wußt. Vor wenig Tagen, als der Doktor ihr das Leben abgeſprochen hatte, ließ ſie ihren Mann kommen, Lotte war im Zimmer, und redte ihn alſo an: Ich muß dir eine Sache geſtehn, die nach meinem Tode Verwirrung und Verdruß ma- chen könnte. Ich habe bisher die Haushaltung geführt, ſo ordentlich und ſparſam als möglich, al- lein du wirſt mir verzeihen, daß ich dich dieſe dreyßig Iahre her hintergangen habe. Du be- ſtimmteſt im Anfange unſerer Heyrath ein gerin- ges für die Beſtreitung der Küche und anderer häuslichen Ausgaben. Als unſere Haushaltung ſtärker wurde, unſer Gewerb gröſſer, warſt du nicht zu bewegen, mein Wochengeld nach dem Ver- hältniſſe zu vermehren, kurz du weißt, daß du in den Zeiten, da ſie am gröſten war, verlangteſt, ich ſolle mit ſieben Gulden die Woche auskommen. Die hab ich denn ohne Widerrede genommen und mir den Ueberſchuß wöchentlich aus der Looſung geholt, da niemand vermuthete, daß die Frau die Caſſe beſtehlen würde. Ich habe nichts verſchwen- det und wäre auch, ohne es zu bekennen, getroſt der ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 65 der Ewigkeit entgegen gegangen, wenn nicht dieje- nige, die nach mir das Weſen zu führen hat, ſich nicht zu helfen wiſſen würde, und du doch immer drauf beſtehen könnteſt, deine erſte Frau ſey damit ausgekommen. Ich redete mit Lotten über die unglaubliche Verblendung des Menſchenſinns, daß einer nicht argwohnen ſoll, dahinter müſſe was anders ſtek- ken, wenn eins mit ſieben Gulden hinreicht, wo man den Aufwand vielleicht um zweymal ſo viel ſieht. Aber ich hab ſelbſt Leute gekannt, die des Propheten ewiges Oelkrüglein ohne Verwunde- rung in ihrem Hauſe ſtatuirt hätten. * am 13. Iuli. || Nein, ich betrüge mich nicht! Ich leſe in ihren ||||| ſchwarzen Augen wahre Theilnehmung an mir, und meinem Schickſaale. Ia ich fühle, und darin darf ich meinem Herzen trauen, daß ſie - O darf ich, kann ich den Himmel in dieſen Wor- ten ausſprechen? - daß ſie mich liebt. E Und ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 66 >>>>>>>>>>>>>>> Und ob das Vermeſſenheit iſt oder Gefühl des wahren Verhältniſſes: ich kenne den Menſchen nicht, von dem ich etwas in Lottens Herzen fürch- tete. Und doch - wenn ſie von ihrem Bräuti- gam ſpricht mit all der Wärme, all der Liebe, da iſt mir's wie einem, der all ſeiner Ehren und Wür- den entſezt, und dem der Degen abgenommen wird. * am 16. Iuli. || Ach, wie mir das durch alle Adern läuft, wenn ||||| mein Finger unverſehns den ihrigen berührt, wenn unſere Füſſe ſich unter dem Tiſche begegnen. Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine gehei- me Kraft zieht mich wieder vorwärts, mir wirds ſo ſchwindlich vor allen Sinnen. O und ihre Un- ſchuld, ihre unbefangene Seele fühlt nicht, wie ſehr mich die kleinen Vertraulichkeiten peinigen. Wenn ſie gar im Geſpräch ihre Hand auf die meinige legt, und im Intereſſe der Unterredung näher zu mir rückt, daß der himmliſche Athem ihres Mundes meine Lippen reichen kann. - Ich glaube zu verſinken wie vom Wetter gerührt. Und Wilhelm, wenn ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 67 wenn ich mich jemals unterſtehe, dieſen Himmel, dieſes Vertrauen - Du verſtehſt mich. Nein, mein Herz iſt ſo verderbt nicht! Schwach! ſchwach genug! Und iſt das nicht Verderben? Sie iſt mir heilig. Alle Begier ſchweigt in ih- rer Gegenwart. Ich weis nimmer wie mir iſt, wenn ich bey ihr bin, es iſt als wenn die Seele ſich mir in allen Nerven umkehrte. Sie hat eine Melodie, die ſie auf dem Clavier ſpielt mit der Kraft eines Engels, ſo ſimpel und ſo geiſtvoll, es iſt ihr Leiblied, und mich ſtellt es von aller Pein, Verwirrung und Grillen her, wenn ſie nur die er- ſte Note davon greift. Kein Wort von der Zauberkraft der alten Muſik iſt mir unwahrſcheinlich, wie mich der einfache Geſang angreift. Und wie ſie ihn anzubringen weis, oft zur Zeit, wo ich mir eine Kugel vor'n Kopf ſchieſſen möchte. Und all die Irrung und Finſterniß meiner Seele zerſtreut ſich, und ich athme wieder freyer. E 2 am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 68 >>>>>>>>>>>>>>> * am 18. Iuli. || Wilhelm, was iſt unſerm Herzen die Welt ohne ||||| Liebe! Was eine Zauberlaterne iſt, ohne Licht! Kaum bringſt Du das Lämpgen hinein, ſo ſcheinen Dir die bunteſten Bilder an deine weiße Wand! Und wenn's nichts wäre als das, als vor- übergehende Phantomen, ſo machts doch immer unſer Glük, wenn wir wie friſche Bubens davor ſtehen und uns über die Wundererſcheinungen ent- zükken. Heut konnt ich nicht zu Lotten, eine un- vermeidliche Geſellſchaft hielt mich ab. Was war zu thun. Ich ſchikte meinen Buben hinaus, nur um einen Menſchen um mich zu haben, der ihr heute nahe gekommen wäre. Mit welcher Unge- dult ich den Buben erwartete, mit welcher Freude ich ihn wieder ſah. Ich hätt' ihn gern bey'm Kopf genommen und geküßt, wenn ich mich nicht ge- ſchämt hätte. Man erzählt von dem Bononiſchen Stein, daß er, wenn man ihn in die Sonne legt, ihre Strah- len anzieht und eine Weile bey Nacht leuchtet. So war mir's mit dem Iungen. Das Gefühl, daß ihre ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 69 ihre Augen auf ſeinem Geſicht', ſeinen Bakken, ſeinen Rokknöpfen und dem Kragen am Sürtout geruht hatten, machte mir das all ſo heilig, ſo werth, ich hätte in dem Augenblikke den Iungen nicht vor tauſend Thaler gegeben. Es war mir ſo wohl in ſeiner Gegenwart - Bewahre dich Gott, daß du darüber nicht lachſt. Wilhelm, ſind das Phantomen, wenn es uns wohl wird? * den 19. Iuli. || Ich werde ſie ſehen: ruf ich Morgens aus, wenn ||||| ich mich ermuntere, und mit aller Heiterkeit der ſchönen Sonne entgegen blikke. Ich werde ſie ſehen! Und da hab ich für den ganzen Tag keinen Wunſch weiter. Alles, alles verſchlingt ſich in die- ſer Ausſicht. * den 20. Iuli. || Eure Idee will noch nicht die meinige werden, ||||| daß ich mit dem Geſandten nach * * * gehen ſoll. Ich liebe die Subordination nicht ſehr, und wir wiſſen alle, daß der Mann noch dazu ein wi- E 3 driger ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 70 >>>>>>>>>>>>>>> driger Menſch iſt. Meine Mutter möchte mich gern in Aktivität haben, ſagſt du, das hat mich zu lachen gemacht, bin ich jezt nicht auch aktiv? und iſt's im Grund nicht einerley: ob ich Erbſen zähle oder Linſen? Alles in der Welt läuft doch auf eine Lumperey hinaus, und ein Kerl, der um anderer willen, ohne daß es ſeine eigene Leiden- ſchaft iſt, ſich um Geld, oder Ehre, oder ſonſt was, abarbeitet, iſt immer ein Thor. * am 24. Iuli. || Da Dir ſo viel daran gelegen iſt, daß ich mein ||||| Zeichnen nicht vernachläſſige, möcht ich lie- ber die ganze Sache übergehn, als Dir ſagen: daß zeither wenig gethan wird. Noch nie war ich glüklicher, noch nie meine Empfindung an der Natur, bis auf's Steingen, auf's Gräsgen herunter, voller und inniger, und doch - ich weis nicht, wie ich mich ausdrükken ſoll, meine vorſtellende Kraft iſt ſo ſchwach, alles ſchwimmt, ſchwankt vor meiner Seele, daß ich kei- nen Umriß pakken kann; aber ich bilde mir ein, wenn ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 71 wenn ich Thon hätte oder Wachs, ſo wollt ich's wohl herausbilden, ich werde auch Thon nehmen wenn's länger währt, und kneten, und ſollten's Ku- chen werden. Lottens Porträt habe ich dreymal angefan- gen, und habe mich dreymal proſtituirt, das mich um ſo mehr verdrieſt, weil ich vor einiger Zeit ſehr glüklich im Treffen war, darauf hab ich denn ihren Schattenriß gemacht, und damit ſoll mir genügen. * am 26. Iuli. || Ich habe mir ſchon ſo manchmal vorgenommen, ||||| ſie nicht ſo oft zu ſehn. Ia wer das halten könnte! Alle Tage unterlieg ich der Verſuchung, und verſpreche mir heilig: Morgen willſt du ein- mal wegbleiben, und wenn der Morgen kommt, find ich doch wieder eine unwiderſtehliche Urſache, und eh ich mich's verſehe, bin ich bey ihr. Ent- weder ſie hat des Abends geſagt; Sie kommen doch Morgen? - Wer könnte da wegbleiben? Oder der Tag iſt gar zu ſchön, ich gehe nach Wahl- heim, und wenn ich ſo da bin - iſt's nur noch E 4 eine ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 72 >>>>>>>>>>>>>>> eine halbe Stunde zu ihr! Ich bin zu nah in der Atmoſphäre, Zuk! ſo bin ich dort. Meine Großmutter hatte ein Mährgen vom Magneten- berg. Die Schiffe die zu nahe kamen, wurden auf einmal alles Eiſenwerks beraubt, die Nägel flogen dem Berge zu, und die armen Elenden ſchei- terten zwiſchen den übereinander ſtürzenden Brettern. * am 30. Iuli. || Albert iſt angekommen, und ich werde gehen, und ||||| wenn er der beſte, der edelſte Menſch wäre, unter den ich mich in allem Betracht zu ſtellen bereit wäre, ſo wär's unerträglich, ihn vor meinem Angeſichte im Beſizze ſo vieler Vollkommenheiten zu ſehen. Beſiz! - Genug, Wilhelm der Bräuti- gam iſt da. Ein braver lieber Kerl, dem man gut ſeyn muß. Glüklicher weiſe war ich nicht bey'm Empfange! Das hätte mir das Herz zerriſſen. Auch iſt er ſo ehrlich und hat Lotten in meiner Gegen- wart noch nicht einmal geküßt. Das lohn ihm Gott! Um des Reſpekts willen, den er vor dem Mäd- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 73 Mädgen hat, muß ich ihn lieben. Er will mir wohl, und ich vermuthe, das iſt Lottens Werk, mehr als ſeiner eigenen Empfindung, denn darinn ſind die Weiber fein, und haben recht. Wenn ſie zwey Kerls in gutem Vernehmen mit einander hal- ten können, iſt der Vortheil immer ihre, ſo ſelten es auch angeht. Indeß kann ich Alberten meine Achtung nicht verſagen, ſeine gelaſſne Auſſenſeite, ſticht gegen die Unruhe meines Charakters ſehr lebhaft ab, die ſich nicht verbergen läßt, er hat viel Gefühl und weis, was er an Lotten hat. Er ſcheint wenig üble Laune zu haben, und du weiſt, das iſt die Sün- de, die ich ärger haſſe am Menſchen als alle andre. Er hält mich für einen Menſchen von Sinn, und meine Anhänglichkeit an Lotten, meine war- me Freude, die ich an all ihren Handlungen ha- be, vermehrt ſeinen Triumph, und er liebt ſie nur deſto mehr. Ob er ſie nicht manchmal heimlich mit kleiner Eiferſüchteley peinigt, das laß ich da- hin geſtellt ſeyn, wenigſtens an ſeinem Plazze wür- de ich nicht ganz ſicher vor dem Teufel bleiben. E 5 Dem ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 74 <<<<<<<<<<<<<<< Dem ſey nun wie ihm wolle, meine Freude bey Lotten zu ſeyn, iſt hin! Soll ich das Thor heit nennen oder Verblendung? - Was braucht's Nahmen! Erzählt die Sache an ſich! - Ich wuſte alles, was ich jezt weis, eh Albert kam, ich wuſte, daß ich keine Prätenſionen auf ſie zu machen hatte, machte auch keine - Heiſt das, inſofern es möglich iſt, bey ſo viel Liebenswürdigkeiten nicht zu begehren - Und jezt macht der Frazze groſſe Augen, da der andere nun wirklich kommt, und ihm das Mädgen wegnimmt. Ich beiſſe die Zähne auf einander und ſpot- te über mein Elend, und ſpottete derer doppelt und dreyfach, die ſagen könnten, ich ſollte mich reſigni- ren, und weil's nun einmal nicht anders ſeyn könnte. - Schafft mir die Kerls vom Hals! - Ich laufe in den Wäldern herum, und wenn ich zu Lotten komme, und Albert ſo bey ihr ſizt im Gärtgen unter der Laube, und ich nicht weiter kann, ſo bin ich ausgelaſſen närriſch, und fange viel Poſſen, viel verwirrtes Zeug an. Um Got- tes willen, ſagte mir Lotte heute, ich bitte Sie! keine Scene wie die von geſtern Abend! ſie ſind fürch- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 75 fürchterlich, wenn ſie ſo luſtig ſind. Unter uns, ich paſſe die Zeit ab, wenn er zu thun hat, wutſch! bin ich draus, und da iſt mir's immer wohl, wenn ich ſie allein finde. * am 8. Aug. || Ich bitte dich, lieber Wilhelm! Es war gewiß ||||| nicht auf dich geredt, wenn ich ſchrieb: ſchafft mir die Kerls vom Hals, die ſagen, ich ſollte mich reſigniren. Ich dachte warlich nicht dran, daß du von ähnlicher Meinung ſeyn könnteſt. Und im Grunde haſt du recht! Nur eins, mein Beſter, in der Welt iſt's ſehr ſelten mit dem Entweder Oder gethan, es giebt ſo viel Schattirungen der Empfin- dungen und Handlungsweiſen, als Abfälle zwiſchen einer Habichts- und Stumpfnaſe. Du wirſt mir alſo nicht übel nehmen, wenn ich dir dein ganzes Argument einräume, und mich doch zwiſchen dem Entweder Oder durchzuſtehlen ſuche. Entweder ſagſt du, haſt du Hofnung auf Lotten, oder du haſt keine. Gut! Im erſten Falle ſuch ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 76 >>>>>>>>>>>>>>> ſuch ſie durchzutreiben, ſuche die Erfüllung deiner Wünſche zu umfaſſen, im andern Falle ermanne dich und ſuche einer elenden Empfindung los zu werden, die all deine Kräfte verzehren muß. Be- ſter, das iſt wohl geſagt, und - bald geſagt. Und kannſt du von dem Unglüklichen, deſſen Leben unter einer ſchleichenden Krankheit unauf- haltſam allmählich abſtirbt, kannſt du von ihm ver- langen, er ſolle durch einen Dolchſtos der Quaal auf einmal ein Ende machen? Und raubt das Uebel, das ihm die Kräfte wegzehrt, ihm nicht auch zugleich den Muth, ſich davon zu befreyen? Zwar könnteſt du mir mit einem verwand- ten Gleichniſſe antworten: Wer lieſſe ſich nicht lieber den Arm abnehmen, als daß er durch Zau- dern und Zagen ſein Leben auf's Spiel ſezte - Ich weis nicht - und wir wollen uns nicht in Gleichniſſen herumbeiſſen. Genug - Ia, Wil- helm ich habe manchmal ſo einen Augenblik auf- ſpringenden, abſchüttelnden Muths, und da, wenn ich nur wüſte wohin, ich gienge wohl. am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 77 * am 10. Aug. || Ich könnte das beſte glüklichſte Leben führen, ||||| wenn ich nicht ein Thor wäre. So ſchöne Umſtände vereinigen ſich nicht leicht zuſammen, ei- nes Menſchen Herz zu ergözzen, als die ſind, in denen ich mich jezt befinde. Ach ſo gewiß iſt's, daß unſer Herz allein ſein Glük macht! Ein Glied der liebenswürdigen Familie auszumachen, von dem Alten geliebt zu werden wie ein Sohn, von den Kleinen wie ein Vater und von Lotten - und nun der ehrliche Albert, der durch keine lau- niſche Unart mein Glük ſtört, der mich mit herz- licher Freundſchaft umfaßt, dem ich nach Lotten das liebſte auf der Welt bin - Wilhelm, es iſt eine Freude uns zu hören, wenn wir ſpazieren gehn und uns einander von Lotten unterhalten, es iſt in der Welt nichts lächerlichers erfunden worden als dieſes Verhältniß, und doch kommen mir drü- ber die Thränen oft in die Augen. Wenn er mir ſo von ihrer rechtſchaffenen Mutter erzählt, wie die auf ihrem Todbette Lot- ten ihr Hauß und ihre Kinder übergeben, und ihm Lotten ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 78 >>>>>>>>>>>>>>> Lotten anbefohlen habe, wie ſeit der Zeit ein ganz anderer Geiſt Lotten belebt, wie ſie in Sorge für ihre Wirthſchaft und im Ernſte eine wahre Mut- ter geworden, wie kein Augenblik ihrer Zeit ohne thätige Liebe, ohne Arbeit verſtrichen, und wie den- noch all ihre Munterkeit, all ihr Leichtſinn ſie nicht verlaſſen habe. Ich gehe ſo neben ihm hin, und pflükke Blumen am Wege, füge ſie ſehr ſorgfältig in einen Straus und - werfe ſie in den vor- überflieſſenden Strohm, und ſehe ihnen nach wie ſie leiſe hinunterwallen. Ich weis nicht, ob ich dir geſchrieben habe, daß Albert hier bleiben, und ein Amt mit einem artigen Auskommen vom Ho- fe erhalten wird, wo er ſehr beliebt iſt. In Ord- nung und Emſigkeit in Geſchäften hab ich wenig ſeines gleichen geſehen. * am 12. Aug. || Gewiß Albert iſt der beſte Menſch unter dem ||||| Himmel, ich habe geſtern eine wunderbare Scene mit ihm gehabt. Ich kam zu ihm, um Ab- ſchied zu nehmen, denn mich wandelte die Luſt an, in's ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 79 in's Gebürg zu reiten, von daher ich dir auch jezt ſchreibe, und wie ich in der Stube auf und ab gehe, fallen mir ſeine Piſtolen in die Augen. Borg mir die Piſtolen, ſagt ich, zu meiner Reiſe. Meint- wegen, ſagt er, wenn du dir die Mühe geben willſt, ſie zu laden, bey mir hängen ſie nur PRO FORMA. Ich nahm eine herunter, und er fuhr fort: Seit mir meine Vorſicht einen ſo unartigen Streich ge- ſpielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu thun haben. Ich war neugierig, die Geſchichte zu wiſſen. Ich hielte mich, erzählte er, wohl ein Vier- teljahr auf dem Lande bey einem Freunde auf, hat- te ein Paar Terzerolen ohngeladen und ſchlief ru- hig. Einmal an einem regnigten Nachmittage, da ich ſo müßig ſizze, weis ich nicht wie mir einfällt: wir könnten überfallen werden, wir könnten die Terzerols nöthig haben, und könnten - du weiſt ja, wie das iſt. Ich gab ſie dem Bedienten, ſie zu puzzen, und zu laden, und der dahlt, mit den Mädgen, will ſie erſchrökken, und Gott weis wie, das Gewehr geht los, da der Ladſtok noch drinn ſteckt und ſchießt den Ladſtok einem Mädgen zur Maus herein, an der rechten Hand, und zerſchlägt ihr ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 80 >>>>>>>>>>>>>>> ihr den Daumen. Da hatt' ich das Lamentiren und den Barbierer zu bezahlen oben drein, und ſeit der Zeit laß ich all das Gewehr ungeladen. Lieber Schaz, was iſt Vorſicht! die Gefahr läßt ſich nicht auslernen! Zwar - Nun weiſt du, daß ich den Menſchen ſehr lieb habe bis auf ſeine Zwar. Denn verſteht ſich's nicht von ſelbſt, daß jeder all- gemeine Saz Ausnahmen leidet. Aber ſo recht- fertig iſt der Menſch, wenn er glaubt, etwas über- eiltes, allgemeines, halbwahres geſagt zu haben; ſo hört er dir nicht auf zu limitiren, modificiren, und ab und zu zu thun, bis zulezt gar nichts mehr an der Sache iſt. Und bey dieſem Anlaſſe kam er ſehr tief in Text, und ich hörte endlich gar nicht weiter auf ihn, verfiel in Grillen, und mit einer auffah- renden Gebährde druckt ich mir die Mündung der Piſtolen übers rechte Aug an die Stirn. Pfuy ſagte Albert, indem er mir die Piſtole herabzog, was ſoll das! - Sie iſt nicht geladen, ſagt ich. - Und auch ſo! Was ſoll's? verſezt er ungedultig. Ich kann mir nicht vorſtellen, wie ein Menſch ſo thörigt ſeyn kann, ſich zu erſchieſſen; der bloße Gedanke erregt mir Widerwillen. Daß ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 81 Daß ihr Menſchen, rief ich aus, um von einer Sache zu reden, gleich ſprechen müßt: Das iſt thörig, das iſt klug, das iſt gut, das iſt bös! Und was will das all heiſſen? Habt ihr deßwegen die innern Verhältniſſe einer Handlung erforſcht? Wißt ihr mit Beſtimmtheit die Urſachen zu ent- wikkeln, warum ſie geſchah, warum ſie geſchehen mußte? Hättet ihr das, ihr würdet nicht ſo eil- fertig mit euren Urtheilen ſeyn. Du wirſt mir zugeben, ſagte Albert, daß gewiſſe Handlungen laſterhaft bleiben, ſie mögen aus einem Beweggrunde geſchehen, aus welchem ſie wollen. Ich zukte die Achſeln und gabs ihm zu. Doch, mein Lieber, fuhr ich fort, finden ſich auch hier einige Ausnahmen. Es iſt wahr, der Dieb- ſtahl iſt ein Laſter, aber der Menſch, der, um ſich und die Seinigen vom ſchmäligen Hungertode zu erretten, auf Raub ausgeht, verdient der Mitlei- den oder Strafe? Wer hebt den erſten Stein auf gegen den Ehemann, der im gerechten Zorne ſein untreues Weib und ihren nichtswürdigen Ver- führer aufopfert? Gegen das Mädgen, das in ei- F ner ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 82 >>>>>>>>>>>>>>> ner wonnevollen Stunde, ſich in den unaufhaltſa- men Freuden der Liebe verliert? Unſere Geſetze ſelbſt, dieſe kaltblütigen Pedanten, laſſen ſich rühren, und halten ihre Strafe zurük. Das iſt ganz was anders, verſezte Albert, weil ein Menſch, den ſeine Leidenſchaften hinreiſſen, alle Beſinnungskraft verliert, und als ein Trunkener, als ein Wahnſinniger angeſehen wird. - Ach ihr vernünftigen Leute! rief ich lächelnd aus. Lei- denſchaft! Trunkenheit! Wahnſinn! Ihr ſteht ſo gelaſſen, ſo ohne Theilnehmung da, ihr ſittlichen Menſchen, ſcheltet den Trinker, verabſcheuet den Un- ſinnigen, geht vorbey wie der Prieſter, und dankt Gott wie der Phariſäer, daß er euch nicht ge- macht hat, wie einen von dieſen. Ich bin mehr als einmal trunken geweſen, und meine Leiden- ſchaften waren nie weit vom Wahnſinne, und bey- des reut mich nicht, denn ich habe in meinem Maaſſe begreifen lernen: Wie man alle auſſer- ordentliche Menſchen, die etwas groſſes, etwas un- möglich ſcheinendes würkten, von jeher für Trunke- ne und Wahnſinnige ausſchreien müßte. Aber ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 83 Aber auch im gemeinen Leben iſts unerträg- lich, einem Kerl bey halbweg einer freyen, edlen, unerwarteten That nachrufen zu hören: Der Menſch iſt trunken, der iſt närriſch. Schämt euch, ihr Nüchternen. Schämt euch, ihr Weiſen. Das ſind nun wieder von deinen Grillen, ſagte Albert. Du überſpannſt alles, und haſt wenigſtens hier ge- wiß unrecht, daß du den Selbſtmord, wovon wir jetzo reden, mit groſſen Handlungen vergleichſt, da man es doch für nichts anders als eine Schwäche halten kann, denn freylich iſt es leichter zu ſterben, als ein qualvolles Leben ſtandhaft zu ertragen. Ich war im Begriffe abzubrechen, denn kein Argument in der Welt bringt mich ſo aus der Faſſung, als wenn einer mit einem unbedeutenden Gemeinſpruche angezogen kommt, da ich aus gan- zem Herzen rede. Doch faßt ich mich, weil ich's ſchon öfter gehört und mich öfter darüber geärgert hatte, und verſezte ihm mit einiger Lebhaftigkeit: Du nennſt das Schwäche! ich bitte dich, laß dich vom Anſcheine nicht verführen. Ein Volk, das un- ter dem unerträglichen Ioche eines Tyrannen ſeufzt, darfſt du das ſchwach heiſſen, wenn es endlich auf- F 2 gährt ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 84 >>>>>>>>>>>>>>> gährt und ſeine Ketten zerreißt. Ein Menſch, der über dem Schrekken, daß Feuer ſein Haus ergrif- fen hat, alle Kräfte zuſammen geſpannt fühlt, und mit Leichtigkeit Laſten wegträgt, die er bey ruhigem Sinne kaum bewegen kann; einer, der in der Wuth der Beleidigung es mit Sechſen aufnimmt, und ſie überwältigt, ſind dir ſchwach zu nennen? Und mein Guter, wenn Anſtrengung Stärke iſt, warum ſoll die Ueberſpannung das Gegentheil ſeyn? Albert ſah mich an und ſagte: nimm mirs nicht übel, die Beyſpiele die du da giebſt, ſchei- nen hierher gar nicht zu gehören. Es mag ſeyn, ſagt ich, man hat mir ſchon öfter vorgeworfen, daß meine Combinationsart manchmal an's Rado- tage gränze! Laßt uns denn ſehen, ob wir auf eine andere Weiſe uns vorſtellen können, wie es dem Menſchen zu Muthe ſeyn mag, der ſich ent- ſchließt, die ſonſt ſo angenehme Bürde des Lebens abzuwerfen, denn nur in ſo fern wir mit empfin- den, haben wir Ehre von einer Sache zu reden. Die menſchliche Natur, fuhr ich fort, hat ih- re Gränzen, ſie kann Freude, Leid, Schmerzen, bis auf ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 85 auf einen gewiſſen Grad ertragen, und geht zu Grunde, ſobald der überſtiegen iſt. Hier iſt alſo nicht die Frage, ob einer ſchwach oder ſtark iſt, ſondern ob er das Maas ſeines Lei- dens ausdauren kann; es mag nun moraliſch oder phyſikaliſch ſeyn, und ich finde es eben ſo wunder- bar zu ſagen, der Menſch iſt feig, der ſich das Le- ben nimmt, als es ungehörig wäre, den einen Fei- gen zu nennen, der an einem bösartigen Fieber ſtirbt. Paradox! ſehr paradox! rief Albert aus. - Nicht ſo ſehr, als du denkſt, verſezt ich. Du giebſt mir zu wir nennen das eine Krankheit zum Todte, wodurch die Natur ſo angegriffen wird, daß theils ihre Kräfte verzehrt, theils ſo außer Würkung ge- ſezt werden, daß ſie ſich nicht wieder aufzuhelfen, durch keine glükliche Revolution, den gewöhnlichen Umlauf des Lebens wieder herzuſtellen fähig iſt. Nun mein Lieber, laß uns das auf den Geiſt anwenden. Sieh den Menſchen an in ſeiner Ein- geſchränktheit, wie Eindrükke auf ihn würken, Ideen ſich bey ihm feſt ſezzen, bis endlich eine wachſen- F 3 de ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 86 <<<<<<<<<<<<<<< de Leidenſchaft ihn aller ruhigen Sinneskraft be- raubt, und ihn zu Grunde richtet. Vergebens, daß der gelaßne vernünftige Menſch den Zuſtand des Unglüklichen überſieht, vergebens, daß er ihm zuredet, eben als wie ein Geſunder, der am Bette des Kranken ſteht, ihm von ſeinen Kräf- ten nicht das geringſte einflößen kann. Alberten war das zu allgemein geſprochen, ich erinnerte ihn an ein Mädgen, das man vor weni- ger Zeit im Waſſer todt gefunden, und wiederholt ihm ihre Geſchichte. Ein gutes junges Geſchöpf, das in dem engen Kreiſe häuslicher Beſchäftigun- gen, wöchentlicher beſtimmter Arbeit ſo herange- wachſen war, das weiter keine Ausſicht von Ver- gnügen kannte, als etwa Sonntags in einem nach und nach zuſammengeſchafften Puzze mit ihres glei- chen um die Stadt ſpazieren zu gehen, vielleicht alle hohe Feſte einmal zu tanzen, und übrigens mit aller Lebhaftigkeit des herzlichſten Antheils man- che Stunde über den Anlas eines Gezänkes, einer übeln Nachrede, mit einer Nachbarin zu verplau- dern; deren feurige Natur fühlt nun endlich in- nigere Bedürfniſſe, die durch die Schmeicheleyen der Män- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 87 Männer vermehrt werden, all ihre vorige Freuden werden ihr nach und nach unſchmakhaft, bis ſie endlich einen Menſchen antrifft, zu dem ein unbe- kanntes Gefühl ſie unwiderſtehlich hinreißt, auf den ſie nun all ihre Hofnungen wirft, die Welt rings um ſich vergißt, nichts hört, nichts ſieht, nichts fühlt als ihn, den Einzigen, ſich nur ſehnt nach ihm, dem Einzigen. Durch die leere Vergnügen einer unbeſtändigen Eitelkeit nicht verdorben, zieht ihr Verlangen grad nach dem Zwecke: Sie will die Seinige werden, ſie will in ewiger Verbindung all das Glück antreffen, das ihr mangelt, die Vereini- gung aller Freuden genieſſen, nach denen ſie ſich ſehnte. Wiederholtes Verſprechen, das ihr die Gewißheit aller Hofnungen verſiegelt, kühne Lieb- koſungen, die ihre Begierden vermehren, umfangen ganz ihre Seele, ſie ſchwebt in einem dumpfen Bewußtſeyn, in einem Vorgefühl aller Freuden, ſie iſt bis auf den höchſten Grad geſpannt, wo ſie end- lich ihre Arme ausſtrekt, all ihre Wünſche zu um- faſſen - und ihr Geliebter verläßt Sie. - Er- ſtarrt; ohne Sinne ſteht ſie vor einem Abgrunde, und alles iſt Finſterniß um ſie her, keine Ausſicht, F 4 kein ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 88 >>>>>>>>>>>>>>> kein Troſt, keine Ahndung, denn der hat ſie ver- laſſen, in dem ſie allein ihr Daſeyn fühlte. Sie ſieht nicht die weite Welt, die vor ihr liegt, nicht die Vielen, die ihr den Verluſt erſezzen könnten, ſie fühlt ſich allein, verlaſſen von aller Welt, - und blind, in die Enge gepreßt von der entſezli- chen Noth ihres Herzens ſtürzt ſie ſich hinunter, um in einem rings umfangenden Tode all ihre Quaalen zu erſtikken. - Sieh, Albert, das iſt die Geſchichte ſo manches Menſchen, und ſag, iſt das nicht der Fall der Krankheit? Die Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der ver- worrenen und widerſprechenden Kräfte, und der Menſch muß ſterben. Wehe dem, der zuſehen und ſagen könnte: Die Thörinn! hätte ſie gewartet, hätte ſie die Zeit würken laſſen, es würde ſich die Verzweiflung ſchon gelegt, es würde ſich ein anderer ſie zu tröſten ſchon vorgefunden haben. Das iſt eben, als wenn einer ſagte: der Thor! ſtirbt am Fieber! hätte er gewartet, bis ſich ſeine Kräfte erhohlt, ſeine Säfte verbeſſert, der Tumult ſeines Blutes gelegt hätten, alles wä- re ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 89 re gut gegangen, und er lebte bis auf den heu- tigen Tag! Albert, dem die Vergleichung noch nicht an- ſchaulich war, wandte noch einiges ein, und unter andern: ich habe nur von einem einfältigen Mädgen geſprochen, wie denn aber ein Menſch von Verſtande, der nicht ſo eingeſchränkt ſey, der mehr Verhältniſſe überſähe, zu entſchuldigen ſeyn möchte, könne er nicht begreifen. Mein Freund rief ich aus, der Menſch iſt Menſch, und das Bißgen Verſtand das einer haben mag, kommt we- nig oder nicht in Anſchlag, wenn Leidenſchaft wü- thet, und die Gränzen der Menſchheit einen drän- gen. Vielmehr - ein andermal, davon ſagt ich, und grif nach meinem Hute. O mir war das Herz ſo voll - Und wir giengen auseinander, oh- ne einander verſtanden zu haben. Wie denn auf dieſer Welt keiner leicht den andern verſteht. F 5 am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 90 <<<<<<<<<<<<<<< * am 15. Aug. || Es iſt doch gewiß, daß in der Welt den Men- ||||| ſchen nichts nothwendig macht als die Liebe. Ich fühl's an Lotten, daß ſie mich ungern verlöh- re, und die Kinder haben keine andre Idee, als daß ich immer morgen wiederkommen würde. Heut war ich hinausgegangen, Lottens Clavier zu ſtimmen, ich konnte aber nicht dazu kommen, denn die Kleinen verfolgten mich um ein Mährgen, und Lotte ſagte denn ſelbſt, ich ſollte ihnen den Willen thun. Ich ſchnitt ihnen das Abendbrod, das ſie nun faſt ſo gerne von mir als von Lotten annah- men und erzählte ihnen das Hauptſtückgen von der Prinzeßinn, die von Händen bedient wird. Ich lerne viel dabey, das verſichr' ich dich, und ich bin erſtaunt, was es auf ſie für Eindrükke macht. Weil ich manchmal einen Inzidenzpunkt erfinden muß, den ich bey'm zweytenmal vergeſſe, ſagen ſie gleich, das vorigemal wär's anders geweſt, ſo daß ich mich jezt übe, ſie unveränderlich in einem ſin- gen- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 91 genden Sylbenfall an einem Schnürgen weg zu rezitiren. Ich habe daraus gelernt wie ein Au- tor, durch eine zweyte veränderte Auflage ſeiner Geſchichte, und wenn ſie noch ſo poetiſch beſſer geworden wäre, nothwendig ſeinem Buche ſcha- den muß. Der erſte Eindruk findet uns willig, und der Menſch iſt ſo gemacht, daß man ihm das abenteuerlichſte überreden kann, das haftet aber auch gleich ſo feſt, und wehe dem, der es wieder auskrazzen und austilgen will. * am 18. Aug. || Mußte denn das ſo ſeyn? daß das, was des ||||| Menſchen Glükſeligkeit macht, wieder die Quelle ſeines Elends würde. Das volle warme Gefühl meines Herzens an der lebendigen Natur, das mich mit ſo viel Wonne überſtrömte, das rings umher die Welt mir zu einem Paradieſe ſchuf, wird mir jezt zu einem un- er- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 92 <<<<<<<<<<<<<<< erträglichen Peiniger, zu einem quälenden Geiſte, der mich auf allen Wegen verfolgt. Wenn ich ſonſt vom Fels über den Fluß bis zu jenen Hü- geln das fruchtbare Thal überſchaute, und alles um mich her keimen und quellen ſah, wenn ich jene Berge, vom Fuße bis auf zum Gipfel, mit hohen, dichten Bäumen bekleidet, all jene Thäler in ih- ren mannichfaltigen Krümmungen von den lieb- lichſten Wäldern beſchattet ſah, und der ſanfte Fluß zwiſchen den liſpelnden Rohren dahin gleitete, und die lieben Wolken abſpiegelte, die der ſanfte Abend- wind am Himmel herüber wiegte, wenn ich denn die Vögel um mich, den Wald beleben hörte, und die Millionen Mükkenſchwärme im lezten rothen Strahle der Sonne muthig tanzten, und ihr lezter zukkender Blik den ſummenden Käfer aus ſeinem Graſe befreyte und das Gewebere um mich her, mich auf den Boden aufmerkſam machte und das Moos, das meinem harten Felſen ſeine Nahrung abzwingt, und das Geniſte, das den dürren Sand- hügel hinunter wächſt, mir alles das innere glü- hende, heilige Leben der Natur eröfnete, wie um- faßt ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 93 faßt ich das all mit warmen Herzen, verlohr mich in der unendlichen Fülle, und die herrlichen Ge- ſtalten der unendlichen Welt bewegten ſich alllebend in meiner Seele. Ungeheure Berge umgaben mich, Abgründe lagen vor mir, und Wetterbäche ſtürzten herunter, die Flüſſe ſtrömten unter mir, und Wald und Gebürg erklang. Und ich ſah ſie wür- ken und ſchaffen in einander in den Tiefen der Er- de, all die Kräfte unergründlich. Und nun über der Erde und unter dem Himmel wimmeln die Ge- ſchlechter der Geſchöpfe all, und alles, alles bevöl- kert mit tauſendfachen Geſtalten, und die Men- ſchen dann ſich in Häuslein zuſammen ſichern, und ſich anniſten, und herrſchen in ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Thor, der du alles ſo ge- ring achteſt, weil du ſo klein biſt. Vom unzu- gänglichen Gebürge über die Einöde, die kein Fuß betrat, bis ans Ende des unbekannten Ozeans, weht der Geiſt des Ewigſchaffenden und freut ſich jedes Staubs, der ihn vernimmt und lebt. Ach damals, wie oft hab ich mich mit Fittigen eines Kranichs, der über mich hinflog, zu dem Ufer des un- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 94 >>>>>>>>>>>>>>> ungemeſſenen Meeres geſehnt, aus dem ſchäumen- den Becher des Unendlichen, jene ſchwellende Lebens- wonne zu trinken, und nur einen Augenblick in der eingeſchränkten Kraft meines Buſens einen Tropfen der Seligkeit des Weſens zu fühlen, das alles in ſich und durch ſich hervorbringt. Bruder, nur die Erinnerung jener Stunden macht mir wohl, ſelbſt dieſe Anſtrengung, jene un- ſäglichen Gefühle zurük zu rufen, wieder auszu- ſprechen, hebt meine Seele über ſich ſelbſt, und läßt mir dann das Bange des Zuſtands doppelt empfinden, der mich jezt umgiebt. Es hat ſich vor meiner Seele wie ein Vorhang weggezogen, und der Schauplatz des unendlichen Lebens verwandelt ſich vor mir in den Abgrund des ewig offnen Grabs. Kannſt du ſagen: Das iſt! da alles vorübergeht, da alles mit der Wetter- ſchnelle vorüber rollt, ſo ſelten die ganze Kraft ſeines Daſeyns ausdauert, ach in den Strom fort- geriſſen, untergetaucht und an Felſen zerſchmettert wird. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 95 wird. Da iſt kein Augenblik, der nicht dich ver- zehrte und die Deinigen um dich her, kein Augen- blik, da du nicht ein Zerſtöhrer biſt, ſeyn mußt. Der harmloſeſte Spaziergang koſtet tauſend tau- ſend armen Würmgen das Leben, es zerrüttet ein Fustritt die mühſeligen Gebäude der Ameiſen, und ſtampft eine kleine Welt in ein ſchmähliches Grab. Ha! nicht die große ſeltene Noth der Welt, dieſe Fluthen, die eure Dörfer wegſpülen, dieſe Erdbe- ben, die eure Städte verſchlingen, rühren mich. Mir untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die im All der Natur verborgen liegt, die nichts ge- bildet hat, das nicht ſeinen Nachbar, nicht ſich ſelbſt zerſtörte. Und ſo taumele ich beängſtet! Him- mel und Erde und all die webenden Kräfte um mich her! Ich ſehe nichts, als ein ewig verſchlin- gendes, ewig wiederkäuendes Ungeheur. am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 96 <<<<<<<<<<<<<<< * am 21. Aug. || Umſonſt ſtrekke ich meine Arme nach ihr aus, ||||| Morgens wenn ich von ſchweren Träumen auf- dämmere, vergebens ſuch ich ſie Nachts in meinem Bette, wenn mich ein glüklicher unſchuldiger Traum getäuſcht hat, als ſäß ich neben ihr auf der Wieſe, und hielte ihre Hand und dekte ſie mit tauſend Küſſen. Ach wenn ich denn noch halb im Tau- mel des Schlafs nach ihr tappe, und drüber mich ermuntere - Ein Strom von Thränen bricht aus meinem gepreßten Herzen, und ich weine troſtlos einer finſtern Zukunft entgegen. * am 22. Aug. || Es iſt ein Unglük, Wilhelm! all meine thätigen ||||| Kräfte ſind zu einer unruhigen Läſſigkeit ver- ſtimmt, ich kann nicht müſſig ſeyn und wieder kann ich nichts thun. Ich hab keine Vorſtellungskraft, kein ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 97 kein Gefühl an der Natur und die Bücher ſpeien mich alle an. Wenn wir uns ſelbſt fehlen, fehlt uns doch alles. Ich ſchwöre Dir, manchmal wünſchte ich ein Taglöhner zu ſeyn, um nur des Morgens bey'm Erwachen eine Ausſicht auf den künftigen Tag, einen Drang, eine Hofnung zu ha- ben. Oft beneid ich Alberten, den ich über die Ohren in Akten begraben ſehe, und bilde mir ein: mir wär's wohl, wenn ich an ſeiner Stelle wäre! Schon etlichemal iſt mir's ſo aufgefahren, ich woll- te Dir ſchreiben und dem Miniſter, und um die Stelle bey der Geſandtſchaft anhalten, die, wie Du verſicherſt, mir nicht verſagt werden würde. Ich glaube es ſelbſt, der Miniſter liebt mich ſeit lange, hatte lange mir angelegen, ich ſollte mich employi- ren, und eine Stunde iſt mir's auch wohl drum zu thun; hernach, wenn ich ſo wieder dran denke, und mir die Fabel vom Pferde einfällt, das ſeiner Freyheit ungedultig, ſich Sattel und Zeug auflegen läßt, und zu Schanden geritten wird. Ich weis nicht, was ich ſoll - Und mein Lieber! Iſt nicht vielleicht das Sehnen in mir nach Verände- G rung ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 98 >>>>>>>>>>>>>>> rung des Zuſtands, eine innre unbehagliche Un- gedult, die mich überall hin verfolgen wird? * am 28. Aug. || Es iſt wahr, wenn meine Krankheit zu heilen ||||| wäre, ſo würden dieſe Menſchen es thun. Heut iſt mein Geburtstag, und in aller Frühe em- pfang ich ein Päkgen von Alberten. Mir fällt bey'm Eröfnen ſogleich eine der blaßrothen Schlei- fen in die Augen, die Lotte vorhatte, als ich ſie kennen lernte, und um die ich ſie ſeither etlichemal gebeten hatte. Es waren zwey Büchelgen in duo- dez dabey, der kleine Wetſteiniſche Homer, ein Büchelgen, nach dem ich ſo oft verlangt, um mich auf dem Spaziergange mit dem Erneſtiſchen nicht zu ſchleppen. Sieh! ſo kommen ſie meinen Wün- ſchen zuvor, ſo ſuchen ſie all die kleinen Gefällig- keiten der Freundſchaft auf, die tauſendmal wer- ther ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 99 ther ſind als jene blendende Geſchenke, wodurch uns die Eitelkeit des Gebers erniedrigt. Ich küſſe dieſe Schleife tauſendmal, und mit jedem Athemzuge ſchlürfe ich die Erinnerung jener Seligkeiten ein, mit denen mich jene wenige, glückliche, unwieder- bringliche Tage überfüllten. Wilhelm es iſt ſo, und ich murre nicht, die Blüthen des Lebens ſind nur Erſcheinungen! wie viele gehn vorüber, ohne eine Spur hinter ſich zu laſſen, wie wenige ſezzen Frucht an, und wie wenige dieſer Früchte werden reif. Und doch ſind deren noch genug da, und doch - O mein Bruder! können wir gereifte Früchte ver- nachläſſigen, verachten, ungenoſſen verwelken und verfaulen laſſen? Lebe wohl! Es iſt ein herrlicher Sommer, ich ſizze oft auf den Obſtbäumen in Lottens Baumſtük mit dem Obſtbrecher der langen Stange, und hole die Birn aus dem Gipfel. Sie ſteht unten und nimmt ſie ab, wenn ich ſie ihr hinunter laſſe. G 2 am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 100 >>>>>>>>>>>>>>> * am 30. Aug. || Unglücklicher! Biſt du nicht ein Thor? Be- ||||| trügſt du dich nicht ſelbſt? Was ſoll all dieſe tobende endloſe Leidenſchaft? Ich habe kein Gebet mehr, als an ſie, meiner Einbildungskraft erſcheint keine andere Geſtalt als die ihrige, und alles in der Welt um mich her, ſehe ich nur im Verhältniſſe mit ihr. Und das macht mir denn ſo manche glük- liche Stunde - Bis ich mich wieder von ihr losreißen muß, ach Wilhelm, wozu mich mein Herz oft drängt! - Wenn ich ſo bey ihr geſeſſen bin, zwey, drey Stunden, und mich an der Geſtalt, an dem Betragen, an dem himmliſchen Ausdruk ihrer Worte geweidet habe, und nun ſo nach und nach alle meine Sinnen aufgeſpannt werden, mir's düſter vor den Augen wird, ich kaum was noch höre, und mich's an die Gurgel faßt, wie ein Meu- chel- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 101 chelmörder, dann mein Herz in wilden Schlägen den bedrängten Sinnen Luft zu machen ſucht und ihre Verwirrung vermehrt. Wilhelm, ich weis oft nicht, ob ich auf der Welt bin! Und wenn nicht manchmal die Wehmuth das Uebergewicht nimmt, und Lotte mir den elenden Troſt erlaubt, auf ihrer Hand meine Beklemmung auszuweinen, ſo muß ich fort! Muß hinaus! Und ſchweife dann weit im Felde umher. Einen gähen Berg zu klettern, iſt dann meine Freude, durch einen unwegſamen Wald einen Pfad durchzuarbeiten, durch die Hek- ken die mich verlezzen, durch die Dornen die mich zerreiſſen! Da wird mir's etwas beſſer! Etwas! Und wenn ich für Müdigkeit und Durſt manchs- mal unterwegs liegen bleibe, manchmal in der tie- fen Nacht, wenn der hohe Vollmond über mir ſteht, im einſamen Walde auf einem krumgewachs- nen Baum mich ſezze, um meinen verwundeten Solen nur einige Linderung zu verſchaffen, und dann in einer ermattenden Ruhe in dem Dämmer- ſcheine hinſchlummre! O Wilhelm! Die einſame Wohnung einer Zelle, das härne Gewand und G 3 der ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 102 >>>>>>>>>>>>>>> der Stachelgürtel, wären Labſale, nach denen mei- ne Seele ſchmachtet. Adieu. Ich ſeh all dieſes Elends kein Ende als das Grab. * am 3. Sept. || Ich muß fort! ich danke Dir, Wilhelm, daß Du ||||| meinen wankenden Entſchluß beſtimmt haſt. Schon vierzehn Tage geh ich mit dem Gedanken um, ſie zu verlaſſen. Ich muß. Sie iſt wieder in der Stadt bey einer Freundinn. Und Albert - und - ich muß fort. am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 103 * am 10. Sept. || Das war eine Nacht! Wilhelm, nun überſteh ||||| ich alles. Ich werde ſie nicht wiederſehn. O daß ich nicht an Deinen Hals fliegen, Dir mit tauſend Thränen und Entzükkungen ausdrükken kann, mein Beſter, all die Empfindungen, die mein Herz beſtürmen. Hier ſizz ich und ſchnappe nach Luft, ſuche mich zu beruhigen, und erwarte den Morgen, und mit Sonnen Aufgang ſind die Pferde beſtellt. Ach ſie ſchläft ruhig und denkt nicht, daß ſie mich nie wieder ſehen wird. Ich habe mich los- geriſſen, bin ſtark genug geweſen, in einem Ge- ſpräche von zwey Stunden mein Vorhaben nicht zu verrathen. Und Gott, welch ein Geſpräch! Albert hatte mir verſprochen, gleich nach dem Nachteſſen mit Lotten im Garten zu ſeyn. Ich G 4 ſtand ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 104 <<<<<<<<<<<<<<< ſtand auf der Terraſſe unter den hohen Caſtanien- bäumen, und ſah der Sonne nach, die mir nun zum letztenmal über dem lieblichen Thale, über dem ſanften Fluſſe untergieng. So oft hatte ich hier geſtanden mit ihr, und eben dem herrlichen Schauſpiele zugeſehen und nun - Ich gieng in der Allee auf und ab, die mir ſo lieb war, ein geheimer ſympathetiſcher Zug hatte mich hier ſo oft gehalten, eh ich noch Lotten kannte, und wie freu- ten wir uns, als im Anfange unſerer Bekannt- ſchaft wir die wechſelſeitige Neigung zu dem Pläz- gen entdekten, das wahrhaftig eins der roman- tiſchten iſt, die ich von der Kunſt habe hervorge- bracht geſehen. Erſt haſt du zwiſchen den Caſtanienbäumen die weite Ausſicht - Ach ich erinnere mich, ich ha- be dir, denk ich, ſchon viel geſchrieben davon, wie hohe Buchenwände einen endlich einſchlieſſen und durch ein daran ſtoßendes Bosquet die Allee im- mer düſtrer wird, bis zuletzt alles ſich in ein ge- ſchloſſenes Pläzgen endigt, das alle Schauer der Ein- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 105 Einſamkeit umſchweben. Ich fühl es noch wie heimlich mir's ward, als ich zum erſtenmal an ei- nem hohen Mittage hinein trat, ich ahndete ganz leiſe, was das noch für ein Schauplaz werden ſollte von Seligkeit und Schmerz. Ich hatte mich etwa eine halbe Stunde in de- nen ſchmachtenden ſüſſen Gedanken des Abſchei- dens, des Wiederſehns geweidet; als ich ſie die Terraſſe herauf ſteigen hörte, ich lief ihnen entge- gen, mit einem Schauer faßt ich ihre Hand und küßte ſie. Wir waren eben herauf getreten, als der Mond hinter dem büſchigen Hügel aufgieng, wir redeten mancherley und kamen unvermerkt dem düſtern Cabinette näher. Lotte trat hinein und ſezte ſich, Albert neben ſie, ich auch, doch, meine Unruhe lies mich nicht lange ſizzen, ich ſtand auf, trat vor ſie, gieng auf und ab, ſezte mich wieder, es war ein ängſtlicher Zuſtand. Sie machte uns aufmerkſam auf die ſchöne Würkung des Monden- lichts, das am Ende der Buchenwände die ganze Terraſſe vor uns erleuchtete, ein herrlicher Anblik, G 5 der ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 106 >>>>>>>>>>>>>>> der um ſo viel frappanter war, weil uns rings eine tiefe Dämmerung einſchloß. Wir waren ſtill, und ſie fieng nach einer Weile an: Niemals geh ich im Mondenlichte ſpazieren, niemals daß mir nicht der Gedanke an meine Verſtorbenen begegnete, daß nicht das Gefühl von Tod, von Zukunft über mich käme. Wir werden ſeyn, fuhr ſie mit der Stimme des herrlichſten Gefühls fort, aber Werther, ſol- len wir uns wieder finden? und wieder erkennen? Was ahnden ſie, was ſagen ſie? Lotte, ſagt ich, indem ich ihr die Hand reichte und mir die Augen voll Thränen wurden, wir wer- den uns wieder ſehn! Hier und dort wieder ſehn! - Ich konnte nicht weiter reden - Wil- helm, mußte ſie mich das fragen? da ich dieſen ängſtlichen Abſchied im Herzen hatte. Und ob die lieben Abgeſchiednen von uns wiſ- ſen, fuhr ſie fort, ob ſie fühlen, wann's uns wohl geht, daß wir mit warmer Liebe uns ihrer erin- nern? O die Geſtalt meiner Mutter ſchwebt im- mer ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 107 mer um mich, wenn ich ſo am ſtillen Abend, un- ter ihren Kindern, unter meinen Kindern ſizze, und ſie um mich verſammlet ſind, wie ſie um ſie verſammlet waren. Wenn ich ſo mit einer ſeh- nenden Thräne gen Himmel ſehe, und wünſche: daß ſie herein ſchauen könnte einen Augenblik, wie ich mein Wort halte, das ich ihr in der Stunde des Todes gab: die Mutter ihrer Kinder zu ſeyn. Hundertmal ruf ich aus: Verzeih mir's, Theuerſte, wenn ich ihnen nicht bin, was du ihnen warſt. Ach! thu ich doch alles was ich kann, ſind ſie doch gekleidet, genährt, ach und was mehr iſt als das alles, gepflegt und geliebet. Könnteſt du un- ſere Eintracht ſehn, liebe Heilige! du würdeſt mit dem heiſſeſten Danke den Gott verherrlichen, den du mit den lezten bitterſten Thränen um die Wohl- fahrt deiner Kinder batſt. Sie ſagte das! O Wil- helm! wer kann wiederholen was ſie ſagte, wie kann der kalte todte Buchſtabe dieſe himmliſche Blüthe des Geiſtes darſtellen. Albert fiel ihr ſanft in die Rede: es greift ſie zu ſtark an, liebe Lotte, ich weis, ihre Seele hängt ſehr nach dieſen Ideen, aber ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 108 >>>>>>>>>>>>>>> aber ich bitte Sie - O Albert, ſagte ſie, ich weis, du vergißt nicht die Abende, da wir zuſammen ſaßen an dem kleinen runden Tiſchgen, wenn der Papa verreiſt war, und wir die Kleinen ſchlafen geſchikt hatten. Du hatteſt oft ein gutes Buch, und kamſt ſo ſelten dazu etwas zu leſen. War der Umgang dieſer herrlichen Seele nicht mehr als alles! die ſchöne, ſanfte, muntere und immer thä- tige Frau! Gott kennt meine Thränen, mit de- nen ich mich oft in meinem Bette vor ihn hin- warf: er möchte mich ihr gleich machen. Lotte! rief ich aus, indem ich mich vor ſie hinwarf, ihre Hände nahm und mit tauſend Thrä- nen nezte. Lotte, der Segen Gottes ruht über dir, und der Geiſt deiner Mutter! - Wenn ſie ſie gekannt hätten! ſagte ſie, indem ſie mir die Hand drükte, - ſie war werth, von ihnen ge- kannt zu ſeyn. - Ich glaubte zu vergehen, nie war ein gröſſeres, ſtolzeres Wort über mich aus- geſprochen worden, und ſie fuhr fort: und dieſe Frau mußte in der Blüthe ihrer Iahre dahin, da ihr ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 109 ihr jüngſter Sohn nicht ſechs Monathe alt war. Ihre Krankheit dauerte nicht lange, ſie war ruhig, reſignirt, nur ihre Kinder thaten ihr weh, beſon- ders das kleine. Wie es gegen das Ende gieng, und ſie zu mir ſagte: Bring mir ſie herauf, und wie ich ſie herein führte, die kleinen die nicht wußten, und die älteſten die ohne Sinne waren, wie ſie um's Bett ſtanden, und wie ſie die Hände aufhub und über ſie betete, und ſie küßte nach ein- ander und ſie wegſchikte, und zu mir ſagte: Sey ihre Mutter! Ich gab ihr die Hand drauf! Du verſprichſt viel, meine Tochter, ſagte ſie, das Herz einer Mutter und das Aug einer Mutter! Ich hab oft an deinen dankbaren Thränen geſehen, daß du fühlſt was das ſey. Hab es für deine Ge- ſchwiſter, und für deinen Vater, die Treue, den Gehorſam einer Frau. Du wirſt ihn tröſten. Sie fragte nach ihm, er war ausgegangen, um uns den unerträglichen Kummer zu verbergen, den er fühlte, der Mann war ganz zerriſſen. Albert ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 110 >>>>>>>>>>>>>>> Albert, du warſt im Zimmer! Sie hörte je- mand gehn, und fragte, und forderte dich zu ihr. Und wie ſie dich anſah und mich, mit dem getrö- ſteten ruhigen Blikke, daß wir glüklich ſeyn, zu- ſammen glüklich ſeyn würden. Albert fiel ihr um den Hals und küßte ſie, und rief: wir ſinds! wir werdens ſeyn. Der ruhige Albert war ganz aus ſeiner Faſſung, und ich wußte nichts von mir ſelber. Werther, fieng ſie an, und dieſe Frau ſollte dahin ſeyn! Gott, wenn ich manchmal ſo denke, wie man das Liebſte ſeines Lebens ſo wegtragen läßt, und niemand als die Kinder das ſo ſcharf fühlt, die ſich noch lange beklagten: die ſchwarzen Männer hätten die Mamma weggetragen. Sie ſtund auf, und ich ward erwekt und er- ſchüttert, blieb ſizzen und hielt ihre Hand. Wir wollen fort, ſagte ſie, es wird Zeit. Sie wollte ihre Hände zurük ziehen und ich hielt ſie feſter! Wir werden uns wiederſehn, rief ich, wir werden uns finden, unter allen Geſtalten werden wir uns erken- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 111 erkennen. Ich gehe, fuhr ich fort, ich gehe willig, und doch, wenn ich ſagen ſollte auf ewig, ich wür- de es nicht aushalten. Leb wohl, Lotte! Leb wohl, Albert! Wir ſehen uns wieder. - Morgen, denk ich, verſezte ſie ſcherzend, ich fühlte das Morgen! Ach ſie wußte nicht als ſie ihre Hand aus der meinigen zog - ſie giengen die Allee hinaus, ich ſtand, ſah ihnen nach im Mondſcheine und warf mich an die Erde und weinte mich aus, und ſprang auf, lief auf die Terraſſe hervor und ſah noch dort drunten im Schatten der hohen Lindenbäume ihr weiſſes Kleid nach der Garten- thüre ſchimmern, ich ſtrekte meine Arme hinaus, und es verſchwand. ||||||||||||||||||||||| ||||||||||||||||||||||| ||||||||||||||||||||||| ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• D i e L e i d e n des j u n g e n W e r t h e r s. ----------------- Zweyter Theil. ||||||||||||||||||| ||||||||||||||||||| ||||||||||||||||||| ||||||||||||||||||| ||||||||||||||||||| ----------------------------------------------------------------- L e i p z i g, in der Weygandſchen Buchhandlung. 1 7 7 4. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||| * am 20. Okt. 1771. |||||||||||||||| |||||||||G|||||| eſtern ſind wir hier angelangt. Der |||||||||||||||| Geſandte iſt unpaß, und wird ſich al- |||||||||||||||| ſo einige Tage einhalten, wenn er nur nicht ſo unhold wäre, wär alles gut. Ich merke, ich merke, das Schikſal hat mir harte Prüfungen zugedacht. Doch gutes Muths! ein leichter Sinn trägt alles! Ein leichter Sinn! das macht mich zu lachen, wie das Wort in meine Feder kommt. O ein Bißgen leichteres Blut würde mich zum glüklichſten Menſchen unter der Sonne machen. Was! Da wo andre, mit ihrem Bißgen Kraft und Talent, vor mir in behaglicher Selbſtgefälligkeit H 2 herum ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 116 <<<<<<<<<<<<<<< herum ſchwadroniren, verzweifl' ich an meiner Kraft, an meinen Gaben. Guter Gott! der du mir das alles ſchenkteſt, warum hielteſt du nicht die Hälfte zurük und gabſt mir Selbſtvertrauen und Genügſamkeit! Gedult! Gedult! Es wird beſſer werden. Denn ich ſage dir, Lieber, du haſt Recht. Seit ich unter dem Volke ſo alle Tage herumgetrieben wer- de, und ſehe was ſie thun und wie ſie's treiben, ſteh ich viel beſſer mit mir ſelbſt. Gewiß, weil wir doch einmal ſo gemacht ſind, daß wir alles mit uns, und uns mit allem vergleichen; ſo liegt Glük oder Elend in den Gegenſtänden, womit wir uns zuſammenhalten, und da iſt nichts ge- fährlicher als die Einſamkeit. Unſere Einbildungs- kraft, durch ihre Natur gedrungen ſich zu erheben, durch die phantaſtiſchen Bilder der Dichtkunſt ge- nährt, bildet ſich eine Reihe Weſen hinauf, wo wir das unterſte ſind, und alles auſſer uns herrlicher erſcheint, jeder andre vollkommner iſt. Und das geht ganz natürlich zu: Wir fühlen ſo oft, daß uns manches mangelt, und eben was uns fehlt cheint uns oft ein anderer zu beſizzen, dem wir denn ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 117 denn auch alles dazu geben was wir haben, und noch eine gewiſſe idealiſche Behaglichkeit dazu. Und ſo iſt der Glükliche vollkommen fertig, das Geſchöpf unſerer ſelbſt. Dagegen wenn wir mit all unſerer Schwachheit und Mühſeligkeit nur gerade fortarbeiten, ſo fin- den wir gar oft, daß wir mit all unſerm Schlen- dern und Laviren es weiter bringen als andre mit ihren Segeln und Rudern - und - das iſt doch ein wahres Gefühl ſeiner ſelbſt, wenn man andern gleich oder gar vorlauft. * am 10. Nov. || Ich fange an mich in ſofern ganz leidlich hier ||||| zu befinden. Das beſte iſt, daß es zu thun genug giebt, und dann die vielerley Menſchen, die allerley neue Geſtalten, machen mir ein buntes Schauſpiel vor meiner Seele. Ich habe den Gra- fen C. . kennen lernen, einen Mann, den ich jeden Tag mehr verehren muß. Einen weiten groſſen Kopf, und der deswegen nicht kalt iſt, weil er viel überſieht; aus deſſen Umgange ſo viel Em- H 3 pfin- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 118 >>>>>>>>>>>>>>> pfindung für Freundſchaft und Liebe hervorleuch- tet. Er nahm Theil an mir, als ich einen Ge- ſchäftsauftrag an ihn ausrichtete, und er bey den erſten Worten merkte, daß wir uns verſtunden, daß er mit mir reden konnte wie nicht mit jedem. Auch kann ich ſein offnes Betragen gegen mich nicht genug rühmen. So eine warme groſſe Freude iſt nicht in der Welt, als eine groſſe See- le zu ſehen, die ſich gegen einen öffnet. * am 24. Dec. || Der Geſandte macht mir viel Verdruß, ich hab ||||| es voraus geſehn. Es iſt der pünktlichſte Narre, den's nur geben kann. Schritt vor Schritt und umſtändlich wie eine Baaſe. Ein Menſch, der nie ſelbſt mit ſich zufrieden iſt, und dem's da- her niemand zu Danke machen kann. Ich arbei- te gern leicht weg, und wie's ſteht ſo ſteht's, da iſt er im Stande, mir einen Aufſaz zurükzugeben und zu ſagen: er iſt gut, aber ſehen ſie ihn durch, man findt immer ein beſſer Wort, eine reinere Partikel. Da möcht ich des Teufels werden. Kein und, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 119 und, kein Bindwörtchen ſonſt darf auſſenbleiben, und von allen Inverſionen die mir manchmal entfah- ren, iſt er ein Todtfeind. Wenn man ſeinen Pe- riod nicht nach der hergebrachten Melodie herab- orgelt; ſo verſteht er gar nichts drinne. Das iſt ein Leiden, mit ſo einem Menſchen zu thun zu haben. Das Vertrauen des Grafen von C. . iſt noch das einzige, was mich ſchadlos hält. Er ſagte mir lezthin ganz aufrichtig: wie unzufrieden er über die Langſamkeit und Bedenklichkeit meines Geſandten ſey. Die Leute erſchweren ſich's und andern. Doch, ſagt er, man muß ſich darein re- ſigniren, wie ein Reiſender, der über einen Berg muß. Freylich! wär der Berg nicht da, wäre der Weg viel bequemer und kürzer, er iſt nun aber da! und es ſoll drüber! - Mein Alter ſpürt auch wohl den Vorzug, den mir der Graf vor ihm giebt, und das ärgert ihn, und er ergreift jede Gelegenheit, übels gegen mich vom Grafen zu reden, ich halte, wie natür- lich, Widerpart, und dadurch wird die Sache nur ſchlimmer. Geſtern gar bracht er mich auf, denn H 4 ich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 120 <<<<<<<<<<<<<<< ich war mit gemeint. Zu ſo Weltgeſchäften wä- re der Graf ganz gut, er hätte viel Leichtigkeit zu arbeiten, und führte eine gute Feder, doch an gründ- licher Gelehrſamkeit mangelt es ihm, wie all den Bellettriſten. Darüber hätt ich ihn gern ausge- prügelt, denn weiter iſt mit den Kerls nicht zu räſonniren; da das aber nun nicht angieng, ſo focht ich mit ziemlicher Heftigkeit, und ſagt ihm, der Graf ſey ein Mann, vor dem man Achtung ha- ben müßte, wegen ſeines Charakters ſowohl, als ſeiner Kenntniſſe; ich habe, ſagt ich, niemand ge- kannt, dem es ſo geglükt wäre, ſeinen Geiſt zu er- weitern, ihn über unzählige Gegenſtände zu ver- breiten, und doch die Thätigkeit für's gemeine Le- ben zu behalten. Das waren dem Gehirn ſpa- niſche Dörfer, und ich empfahl mich, um nicht über ein weiteres Deraiſonnement noch mehr Gal- le zu ſchlukken. Und daran ſeyd ihr all Schuld, die ihr mich in das Ioch geſchwazt, und mir ſo viel von Aktivität vorgeſungen habt. Aktivität! Wenn nicht der mehr thut, der Kartoffeln ſtekt, und in die Stadt reitet, ſein Korn zu verkaufen, als ich, ſo ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 121 ſo will ich zehn Iahre noch mich auf der Galeere abarbeiten, auf der ich nun angeſchmiedet bin. Und das glänzende Elend die Langeweile un- ter dem garſtigen Volke das ſich hier neben ein- ander ſieht. Die Rangſucht unter ihnen, wie ſie nur wachen und aufpaſſen, einander ein Schrittgen abzugewinnen, die elendeſten erbärmlichſten Leiden- ſchaften, ganz ohne Rökgen! Da iſt ein Weib, zum Exempel, die jederman von ihrem Adel und ihrem Lande unterhält, daß nun jeder Fremde den- ken muß: das iſt eine Närrin, die ſich auf das Bißgen Adel und auf den Ruf ihres Landes Wun- derſtreiche einbildet - Aber es iſt noch viel ärger, eben das Weib iſt hier aus der Nachbar- ſchaft eine Amtſchreibers Tochter. - Sieh, ich kann das Menſchengeſchlecht nicht begreifen, das ſo we- nig Sinn hat, um ſich ſo platt zu proſtituiren. Zwar ich merke täglich mehr, mein Lieber, wie thöricht man iſt andre nach ſich zu berechnen. Und weil ich ſo viel mit mir ſelbſt zu thun ha- be, und dieſes Herz und Sinn ſo ſtürmiſch iſt, ach ich laſſe gern die andern ihres Pfads gehen, wenn ſie mich nur auch könnten gehn laſſen. H 5 Was ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 122 >>>>>>>>>>>>>>> Was mich am meiſten nekt, ſind die fatalen bürgerlichen Verhältniſſe. Zwar weis ich ſo gut als einer, wie nöthig der Unterſchied der Stände iſt, wie viel Vortheile er mir ſelbſt verſchafft, nur ſoll er mir nicht eben grad im Wege ſtehn, wo ich noch ein wenig Freude, einen Schimmer von Glük auf dieſer Erden genieſſen könnte. Ich lern- te neulich auf dem Spaziergange ein Fräulein von B. . kennen, ein liebenswürdiges Geſchöpf, das ſehr viele Natur mitten in dem ſteifen Leben er- halten hat. Wir gefielen uns in unſerm Geſprä- che, und da wir ſchieden, bat ich ſie um Erlaub- niß, ſie bey ſich ſehen zu dürfen. Sie geſtattete mir das mit ſo viel Freymüthigkeit, daß ich den ſchiklichen Augenblik kaum erwarten konnte, zu ihr zu gehen. Sie iſt nicht von hier, und wohnt bey einer Tante im Hauſe. Die Phyſiognomie der al- ten Schachtel gefiel mir nicht. Ich bezeigte ihr viel Aufmerkſamkeit, mein Geſpräch war meiſt an ſie gewandt, und in minder als einer halben Stun- de hatte ich ſo ziemlich weg, was mir das Fräu- lein nachher ſelbſt geſtund: daß die liebe Tante in ihrem Alter, und dem Mangel von allem, vom an- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 123 anſtändigen Vermögen an bis auf den Geiſt, kei- ne Stüzze hat, als die Reihe ihrer Vorfahren, kei- nen Schirm, als den Stand, in dem ſie ſich ver- palliſadirt, und kein Ergözzen, als von ihrem Stok- werk herab über die bürgerlichen Häupter weg zu ſehen. In ihrer Iugend ſoll ſie ſchön geweſen ſeyn, und ihr Leben ſo weggegaukelt, erſt mit ih- rem Eigenſinne manchen armen Iungen gequält, und in reifern Iahren ſich unter den Gehorſam eines alten Offiziers gedukt haben, der gegen die- ſen Preis und einen leidlichen Unterhalt das ehr- ne Iahrhundert mit ihr zubrachte, und ſtarb, und nun ſieht ſie im eiſernen ſich allein, und würde nicht angeſehn, wär ihre Nichte nicht ſo liebens- würdig. * den 8. Ian. 1772. || Was das für Menſchen ſind, deren ganze See- ||||| le auf dem Ceremoniel ruht, deren Dich- ten und Trachten Iahre lang dahin geht, wie ſie um einen Stuhl weiter hinauf bey Tiſche ſich ein- ſchieben wollen. Und nicht, daß die Kerls ſonſt keine ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 124 <<<<<<<<<<<<<<< keine Angelegenheit hätten, nein, vielmehr häufen ſich die Arbeiten, eben weil man über die kleinen Verdrüßlichkeiten, von Beförderung der wichtigen Sachen abgehalten wird. Vorige Woche gabs bey der Schlittenfahrt Händel, und der ganze Spas wurde verdorben. Die Thoren, die nicht ſehen, daß es eigent- lich auf den Plaz gar nicht ankommt, und daß der, der den erſten hat, ſo ſelten die erſte Rolle ſpielt! Wie mancher König wird durch ſeinen Miniſter, wie mancher Miniſter durch ſeinen Sekretär re- giert. Und wer iſt dann der Erſte? der, dünkt mich, der die andern überſieht, und ſo viel Ge- walt oder Liſt hat, ihre Kräfte und Leidenſchaften zu Ausführung ſeiner Plane anzuſpannen. * am 20. Ian. || Ich muß Ihnen ſchreiben, liebe Lotte, hier in der ||||| Stube einer geringen Bauernherberge, in die ich mich vor einem ſchweren Wetter geflüchtet habe. Solange ich in dem traurigen Neſte D. . unter dem fremden, meinem Herzen ganz fremden Volke, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 125 Volke, herumziehe, hab' ich keinen Augenblik ge- habt, keinen, an dem mein Herz mich geheiſſen hätte Ihnen zu ſchreiben. Und jezt in dieſer Hüt- te, in dieſer Einſamkeit, in dieſer Einſchränkung, da Schnee und Schloſſen wider mein Fenſtergen wüthen, hier waren Sie mein erſter Gedanke. Wie ich herein trat, überfiel mich Ihre Geſtalt, Ihr An- denken. O Lotte! ſo heilig, ſo warm! Guter Gott! der erſte glükliche Augenblik wieder. Wenn Sie mich ſähen meine Beſte, in dem Schwall von Zerſtreuung! Wie ausgetroknet mei- ne Sinnen werden, nicht Einen Augenblik der Fül- le des Herzens, nicht Eine ſelige thränenreiche Stun- de. Nichts! Nichts! Ich ſtehe wie vor einem Raritätenkaſten, und ſehe die Männgen und Gäul- gen vor mir herumrükken, und frage mich oft, ob's nicht optiſcher Betrug iſt. Ich ſpiele mit, viel- mehr, ich werde geſpielt wie eine Marionette, und faſſe manchmal meinen Nachbar an der hölzernen Hand und ſchaudere zurük. Ein einzig weiblich Geſchöpf hab ich hier gefunden. Eine Fräulein von B. . Sie gleicht Ihnen liebe Lotte, wenn man Ihnen gleichen kann. Ey! ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 126 <<<<<<<<<<<<<<< Ey! werden Sie ſagen: der Menſch legt ſich auf niedliche Komplimente! Ganz unwahr iſt's nicht. Seit einiger Zeit bin ich ſehr artig, weil ich doch nicht anders ſeyn kann, habe viel Wiz, und die Frauenzimmer ſagen: es wüſte niemand ſo fein zu loben als ich (und zu lügen, ſezzen Sie hinzu, denn ohne das geht's nicht ab, verſtehen Sie:) Ich wollte von Fräulein B. . reden! Sie hat viel Seele, die voll aus ihren blauen Augen hervorblikt, ihr Stand iſt ihr zur Laſt, der keinen der Wünſche ih- res Herzens befriedigt. Sie ſehnt ſich aus dem Getümmel, und wir verphantaſiren manche Stun- de in ländlichen Scenen von ungemiſchter Glük- ſeligkeit, ach! und von Ihnen! Wie oft muß ſie Ihnen huldigen. Muß nicht, thut's freywillig, hört ſo gern von Ihnen, liebt Sie - O ſäs ich zu Ihren Füſſen in dem lieben ver- traulichen Zimmergen, und unſere kleinen Lieben wälzten ſich miteinander um mich herum, und wenn ſie Ihnen zu laut würden, wollt ich ſie mit einem ſchauerlichen Mährgen um mich zur Ruhe ver- ſammlen. Die Sonne geht herrlich unter über der ſchneeglänzenden Gegend, der Sturm iſt hin- über ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 127 über gezogen. Und ich - muß mich wieder in meinen Käfig ſperren. Adieu! Iſt Albert bey Ihnen? Und wie - ? Gott verzeihe mir dieſe Frage! * am 17. Febr. || Ich fürchte, mein Geſandter und ich, haltens nicht ||||| lange mehr zuſammen aus. Der Menſch iſt ganz und gar unerträglich. Seine Art zu arbei- ten und Geſchäfte zu treiben iſt ſo lächerlich, daß ich mich nicht enthalten kann ihm zu widerſpre- chen, und oft eine Sache nach meinem Kopfe und Art zu machen, das ihm denn, wie natürlich, nie- mals recht iſt. Darüber hat er mich neulich bey Hofe verklagt, und der Miniſter gab mir einen zwar ſanften Verweis, aber es war doch ein Ver- weis, und ich ſtand im Begriffe, meinen Abſchied zu begehren, als ich einen Privatbrief *) von ihm erhielt, *) Man hat aus Ehrfurcht für dieſen treflichen Mann, gedachten Brief, und einen andern, deſ- ſen weiter hinten erwehnt wird, dieſer Samm- lung entzogen, weil man nicht glaubte, ſolche Kühnheit durch den wärmſten Dank des Pu- blikums entſchuldigen zu können. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 128 >>>>>>>>>>>>>>> erhielt, einen Brief, vor dem ich mich niederge- kniet, und den hohen, edlen, weiſen Sinn angebe- tet habe, wie er meine allzugroſſe Empfindlichkeit zurechte weißt, wie er meine überſpannte Ideen von Würkſamkeit, von Einfluß auf andre, von Durchdringen in Geſchäften als jugendlichen guten Muth zwar ehrt, ſie nicht auszurotten, nur zu mildern und dahin zu leiten ſucht, wo ſie ihr wah- res Spiel haben, ihre kräftige Würkung thun kön- nen. Auch bin ich auf acht Tage geſtärkt, und in mir ſelbſt einig geworden. Die Ruhe der Seele iſt ein herrlich Ding, und die Freude an ſich ſelbſt, lieber Freund, wenn nur das Ding nicht eben ſo zerbrechlich wäre, als es ſchön und koſtbar iſt. * am 20. Febr. || Gott ſegne euch, meine Lieben, geb euch all die ||||| guten Tage, die er mir abzieht. Ich danke dir Albert, daß du mich betrogen haſt, ich wartete auf Nachricht, wann euer Hochzeit- tag ſeyn würde, und hatte mir vorgenommen, feyer- lichſt an demſelben Lottens Schattenriß von der Wand ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 129 Wand zu nehmen, und ſie unter andere Papiere zu begraben. Nun ſeyd ihr ein Paar, und ihr Bild iſt noch hier! Nun ſo ſoll's bleiben! Und warum nicht? Ich weis, ich bin ja auch bey euch, bin dir unbeſchadet in Lottens Herzen. Habe, ja ich habe den zweyten Plaz drinne, und will und muß ihn behalten. O ich würde raſend werden, wenn ſie vergeſſen könnte - Albert in dem Ge- danken liegt eine Hölle. Albert! Leb wohl. Leb wohl, Engel des Himmels, leb wohl, Lotte! * am 15. Merz. || Ich hab einen Verdruß gehabt, der mich von ||||| hier wegtreiben wird, ich knirſche mit den Zäh- nen! Teufel! Er iſt nicht zu erſezzen, und ihr ſeyd doch allein ſchuld daran, die ihr mich ſporntet und triebt und quältet, mich in einen Poſten zu begeben, der nicht nach meinem Sinne war. Nun hab ich's nun habt ihr's. Und daß du nicht wie- der ſagſt: meine überſpannten Ideen verdürben alles; ſo haſt du hier lieber Herr, eine Erzäh- I lung' ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 130 >>>>>>>>>>>>>>> lung, plan und nett, wie ein Chronikenſchreiber das aufzeichnen würde. Der Graf v. C. liebt mich, diſtingwirt mich, das iſt bekannt, das hab ich dir ſchon hundertmal geſagt. Nun war ich bey ihm zu Tiſche geſtern, eben an dem Tage, da Abends die noble Geſellſchaft von Herren und Frauen bey ihm zuſammenkommt, an die ich nie gedacht hab, auch mir nie aufge- fallen iſt, daß wir Subalternen nicht hinein gehö- ren. Gut. Ich ſpeiſe beym Grafen und nach Ti- ſche gehn wir im groſſen Saale auf und ab, ich re- de mit ihm, mit dem Obriſt B. der dazu kommt, und ſo rükt die Stunde der Geſellſchaft heran. Ich denke, Gott weis, an nichts. Da tritt herein die übergnädige Dame von S. . mit Dero Herrn Gemahl und wohl ausgebrüteten Gänſlein Toch- ter mit der flachen Bruſt und niedlichem Schnür- leib, machen EN PASSANT ihre hergebrachten hoch- adlichen Augen und Naſlöcher, und wie mir die Nation von Herzen zuwider iſt wollt ich eben mich empfehlen, und wartete nur, bis der Graf vom garſtigen Gewäſche frey wäre, als eben mei- ne Fräulein B. . herein trat, da mir denn das Herz ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 131 Herz immer ein bißgen aufgeht, wenn ich ſie ſe- he, blieb ich eben, ſtellte mich hinter ihren Stuhl, und bemerkte erſt nach einiger Zeit, daß ſie mit weniger Offenheit als ſonſt, mit einiger Verlegen- heit mit mir redte. Das fiel mir auf. Iſt ſie auch wie all das Volk, dacht ich, hohl ſie der Teu- fel! und war angeſtochen und wollte gehn, und doch blieb ich, weil ich intriguirt war, das Ding näher zu beleuchten. Ueber dem füllt ſich die Ge- ſellſchaft. Der Baron F. . mit der ganzen Gar- derobe von den Krönungszeiten Franz des erſten her, der Hofrath R. . hier aber IN QUALITATE Herr von R. . genannt mit ſeiner tauben Frau &c. den übel fournirten I. nicht zu vergeſſen, bey deſſen Kleidung, Reſte des altfränkiſchen mit dem neu'ſt aufgebrachten kontraſtiren &c. das kommt all und ich rede mit einigen meiner Bekanntſchaft, die alle ſehr lakoniſch ſind, ich dachte - und gab nur auf meine B. . acht. Ich merkte nicht, daß die Wei- ber am Ende des Saals ſich in die Ohren pis- perten, daß es auf die Männer zirkulirte, daß Frau von S. . mit dem Grafen redte (das alles hat mir Fräulein B. . nachher erzählt:) biß end- I 2 lich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 132 >>>>>>>>>>>>>>> lich der Graf auf mich losgieng und mich in ein Fenſter nahm. Sie wiſſen ſagt er, unſere wun- derbaren Verhältniſſe, die Geſellſchaft iſt unzufrie- den, merk ich, ſie hier zu ſehn, ich wollte nicht um alles - Ihro Excellenz, fiel ich ein, ich bitte tau- ſendmal um Verzeihung, ich hätte eher dran den- ken ſollen, und ich weis, Sie verzeihen mir dieſe Inkonſequenz, ich wollte ſchon vorhin mich empfeh- len, ein böſer Genius hat mich zurük gehalten, ſezte ich lächelnd hinzu, indem ich mich neigte. Der Graf drükte meine Hände mit einer Empfindung, die alles ſagte. Ich machte der vornehmen Ge- ſellſchaft mein Compliment, gieng und ſezte mich in ein Cabriolet und fuhr nach M. . dort vom Hü- gel die Sonne untergehen zu ſehen, und dabey in meinem Homer den herrlichen Geſang zu leſen, wie Ulyß von dem treflichen Schweinhirten bewir- thet wird. Das war all gut. Des Abends komm ich zurük zu Tiſche. Es waren noch wenige in der Gaſtſtube, die würfelten auf einer Ekke, hatten das Tiſchtuch zurük geſchla- gen. Da kommt der ehrliche A. . hinein, legt ſei- nen Hut nieder, indem er mich anſieht, tritt zu mir und ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 133 und ſagt leiſe: Du haſt Verdruß gehabt? Ich? ſagt ich - der Graf hat dich aus der Geſellſchaft gewieſen - Hol ſie der Teufel, ſagt ich, mir war's lieb, daß ich in die freye Luft kam - Gut, ſagt er, daß du's auf die leichte Achſel nimmſt. Nur verdrießt mich's. Es iſt ſchon überall herum. - Da fieng mir das Ding erſt an zu wurmen. Al- le die zu Tiſche kamen und mich anſahen, dacht ich die ſehen dich darum an! Das fieng an mir böſes Blut zu ſezzen. Und da man nun heute gar wo ich hin- trete mich bedauert, da ich höre, daß meine Nei- der nun triumphiren und ſagen: Da ſähe man's, wo's mit den Uebermüthigen hinausgieng, die ſich ihres bißgen Kopfs überhüben und glaubten, ſich darum über alle Verhältniſſe hinausſezzen zu dür- fen, und was des Hundegeſchwäzzes mehr iſt. Da möchte man ſich ein Meſſer in's Herz bohren. Denn man rede von Selbſtſtändigkeit was man will, den will ich ſehn der dulden kann, daß Schur- ken über ihn reden, wenn ſie eine Priſe über ihn haben. Wenn ihr Geſchwätz leer iſt, ach! da kann man ſie leicht laſſen. I 3 am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 134 >>>>>>>>>>>>>>> * am 16. Merz. || Es hezt mich alles! Heut tref ich die Fräu- ||||| lein B. . in der Allee. Ich konnte mich nicht enthalten ſie anzureden, und ihr, ſobald wir etwas entfernt von der Geſellſchaft waren, meine Empfind- lichkeit über ihr neuliches Betragen zu zeigen. O Werther, ſagte ſie mit einem innigen Tone, konn- ten Sie meine Verwirrung ſo auslegen, da Sie mein Herz kennen. Was ich gelitten habe um ihrentwillen, von dem Augenblikke an, da ich in den Saal trat. Ich ſah alles voraus, hundert- mal ſaß mir's auf der Zunge, es Ihnen zu ſagen, ich wußte, daß die von S. . und T. . mit ihren Männern eher aufbrechen würden, als in Ihrer Geſellſchaft zu bleiben, ich wußte, daß der Graf es nicht mit Ihnen verderben darf, und jezo der Lärm - Wie Fräulein? ſagt' ich, und verbarg meinen Schrekken, denn alles was Adelin mir eh- geſtern geſagt hatte, lief mir wie ſiedend Waſſer durch die Adern in dieſem Augenblikke. - Was hat mich's ſchon gekoſtet! ſagte das ſüſſe Geſchöpf, indem ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 135 indem ihr die Thränen in den Augen ſtunden. Ich war nicht Herr mehr von mir ſelbſt, war im Begriff, mich ihr zu Füſſen zu werfen. Erklären ſie ſich, ruft ich: Die Thränen liefen ihr die Wangen herunter, ich war auſſer mir. Sie trok- nete ſie ab, ohne ſie verbergen zu wollen. Mei- ne Tante kennen ſie, fieng ſie an; ſie war gegen- wärtig, und hat, o mit was für Augen hat ſie das angeſehn. Werther, ich habe geſtern Nacht ausgeſtanden, und heute früh eine Predigt über meinen Umgang mit Ihnen, und ich habe müſſen zuhören Sie herabſezzen, erniedrigen, und konn- te und durfte Sie nur halb vertheidigen. Iedes Wort, das ſie ſprach, gieng mir wie Schwerder durch's Herz. Sie fühlte nicht, welche Barmherzigkeit es geweſen wäre, mir das alles zu verſchweigen, und nun fügte ſie noch all dazu, was weiter würde geträtſcht werden, was die ſchlechten Kerls alle darüber triumphiren würden. Wie man nunmehro meinen Uebermuth und Gering- ſchäzzung andrer, das ſie mir ſchon lange vorwer- fen, geſtraft, erniedrigt ausſchreien würde. Das alles, Wilhelm, von ihr zu hören mit der Stimme I 4 der ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 136 <<<<<<<<<<<<<<< der wahrſten Theilnehmung. Ich war zerſtört und bin noch wüthend in mir. Ich wollte, daß ſich einer unterſtünde mir's vorzuwerfen, daß ich ihm den Degen durch den Leib ſtoſſen könnte! Wenn ich Blut ſähe würde mir's beſſer werden. Ach ich hab hundertmal ein Meſſer ergriffen, um dieſem gedrängten Herzen Luft zu machen. Man erzählt von einer edlen Art Pferde, die, wenn ſie ſchröklich erhizt und aufgejagt ſind, ſich ſelbſt aus Inſtinkt eine Ader aufbeiſſen, um ſich zum Athem zu helfen. So iſt mir's oft, ich möchte mir eine Ader öfnen, die mir die ewige Freyheit ſchaffte. * am 24. Merz. || Ich habe meine Dimißion bey Hofe verlangt, ||||| und werde ſie, hoff ich erhalten, und ihr wer- det mir verzeihen, daß ich nicht erſt Permißion dazu bey euch geholt habe. Ich mußte nun ein- mal fort, und was ihr zu ſagen hattet, um mir das Bleiben einzureden weis ich all, und alſo - Bring das meiner Mutter in einem Säftgen bey, ich kann mir ſelbſt nicht helfen, alſo mag ſie ſich's gefallen ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 137 gefallen laſſen, wenn ich ihr auch nicht helfen kann. Freylich muß es ihr weh thun. Den ſchönen Lauf, den ihr Sohn grad zum Geheim- derath und Geſandten anſezte, ſo auf einmal Hal- te zu ſehen, und rükwärts mit dem Thiergen in Stall. Macht nun draus was ihr wollt und kom- binirt die mögliche Fälle, unter denen ich hätte bleiben können und ſollen. Genug ich gehe. Und damit ihr wißt wo ich hinkomme, ſo iſt hier der Fürſt * * der viel Geſchmak an meiner Geſellſchaft findet, der hat mich gebeten, da er von meiner Ab- ſicht hörte, mit ihm auf ſeine Güter zu gehen, und den ſchönen Frühling da zuzubringen. Ich ſoll ganz mir ſelbſt gelaſſen ſeyn, hat er mir verſpro- chen, und da wir uns zuſammen bis auf einen gewiſſen Punkt verſtehn, ſo will ich's denn auf gut Glük wagen, und mit ihm gehn. * den 19. April. Zur Nachricht. Danke für deine beyden Briefe. Ich ant- wortete nicht, weil ich dieſen Brief liegen ließ, bis mein Abſchied von Hofe da wäre, weil ich fürch- I 5 tete ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 138 >>>>>>>>>>>>>>> tete, meine Mutter möchte ſich an den Miniſter wenden und mir mein Vorhaben erſchweren. Nun aber iſt's geſchehen, mein Abſchied iſt da. Ich mag euch nicht ſagen, wie ungern man mir ihn gegeben hat, und was mir der Miniſter ſchreibt, ihr würdet in neue Lamentationen ausbrechen. Der Erbprinz hat mir zum Abſchiede fünf und zwanzig Dukaten geſchikt, mit einem Wort, das mich bis zu Thränen gerührt hat. Alſo braucht die Mutter mir das Geld nicht zu ſchikken, um das ich neulich ſchrieb. * am 5. May. || Morgen geh ich von hier ab, und weil mein ||||| Geburtsort nur ſechs Meilen vom Wege liegt, ſo will ich den auch wieder ſehen, will mich der alten glüklich verträumten Tage erinnern. Zu eben dem Thore will ich hineingehn, aus dem meine Mutter mit mir herausfuhr, als ſie nach dem Tode meines Vaters den lieben vertraulichen Ort verließ, um ſich in ihre unerträgliche Stadt einzu- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 139 einzuſperren. Adieu, Wilhelm, du ſollſt von mei- nem Zuge hören. * am 9. May. || Ich habe die Wallfahrt nach meiner Heimath ||||| mit aller Andacht eines Pilgrims vollendet, und manche unerwartete Gefühle haben mich er- griffen. An der groſſen Linde, die eine Viertelſtun- de vor der Stadt nach S. . zuſteht, ließ ich halten, ſtieg aus und hieß den Poſtillion fortfahren, um zu Fuſſe jede Erinnerung ganz neu, lebhaft nach meinem Herzen zu koſten. Da ſtand ich nun un- ter der Linde, die ehedeſſen als Knabe das Ziel und die Gränze meiner Spaziergänge geweſen. Wie anders! Damals ſehnt ich mich in glüklicher Unwiſſenheit hinaus in die unbekannte Welt, wo ich für mein Herz alle die Nahrung, alle den Ge- nuß hoffte, deſſen Ermangeln ich ſo oft in meinem Buſen fühlte. Iezt kam ich zurük aus der weiten Welt - O mein Freund, mit wie viel fehlgeſchla- genen Hofnungen, mit wie viel zerſtörten Pla- nen! - Ich ſah das Gebürge vor mir liegen, das ſo ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 140 >>>>>>>>>>>>>>> ſo tauſendmal der Gegenſtand meiner Wünſche ge- weſen. Stundenlang konnte ich hier ſizzen, und mich hinüber ſehnen, mit inniger Seele mich in denen Wäldern, denen Thälern verliehren, die ſich meinen Augen ſo freundlich dämmernd darſtell- ten - und wenn ich denn nun die beſtimmte Zeit wieder zurük mußte, mit welchem Widerwillen verließ ich nicht den lieben Plaz! Ich kam der Stadt näher, alle alte bekannte Gartenhäusgen wurden von mir gegrüßt, die neuen waren mir zuwider, ſo auch alle Veränderungen, die man ſonſt vorgenommen hatte. Ich trat zum Thore hinein, und fand mich doch gleich und ganz wieder. Lie- ber, ich mag nicht in's Detail gehn, ſo reizend als es mir war, ſo einförmig würde es in der Erzäh- lung werden. Ich hatte beſchloſſen auf dem Mark- te zu wohnen, gleich neben unſerm alten Hauſe. Im Hingehen bemerkte ich daß die Schulſtube, wo ein ehrlich altes Weib unſere Kindheit zuſam- mengepfercht hatte, in einen Kram verwandelt war. Ich erinnerte mich der Unruhe, der Thränen, der Dumpfheit des Sinnes, der Herzensangſt, die ich in dem Loche ausgeſtanden hatte - Ich that kei- nen ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 141 nen Schritt, der nicht merkwürdig war. Ein Pil- ger im heiligen Lande trifft nicht ſo viel Stäten religioſer Erinnerung, und ſeine Seele iſt ſchwer- lich ſo voll heiliger Bewegung. - Noch eins für tauſend. Ich gieng den Fluß hinab, bis an einen gewiſſen Hof, das war ſonſt auch mein Weg, und die Pläzgen da wir Knaben uns übten, die mei- ſten Sprünge der flachen Steine im Waſſer her- vorzubringen. Ich erinnere mich ſo lebhaft, wenn ich manchmal ſtand, und dem Waſſer nachſah, mit wie wunderbaren Ahndungen ich das verfolgte, wie abenteuerlich ich mir die Gegenden vorſtellte, wo es nun hinflöſſe, und wie ich da ſo bald Gren- zen meiner Vorſtellungskraft fand, und doch mußte das weiter gehn, immer weiter, bis ich mich ganz in dem Anſchauen einer unſichtbaren Ferne ver- lohr. Siehe mein Lieber, das iſt doch eben das Gefühl der herrlichen Altväter! Wenn Ulyß von dem ungemeſſenen Meere, und von der unendlichen Erde ſpricht, iſt das nicht wahrer, menſchlicher, in- niger, als wenn jezzo jeder Schulknabe ſich wun- der weiſe dünkt, wenn er nachſagen kann, daß ſie rund ſey. Nun ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 142 >>>>>>>>>>>>>>> Nun bin ich hier auf dem fürſtlichen Iagd- ſchloſſe. Es läßt ſich noch ganz wohl mit dem Herrn leben, er iſt ganz wahr, und einfach. Was mir noch manchmal leid thut, iſt, daß er oft über Sa- chen redt, die er nur gehört und geleſen hat, und zwar aus eben dem Geſichtspunkte, wie ſie ihm der andere darſtellen mochte. Auch ſchäzt er meinen Verſtand und Talente mehr als dies Herz, das doch mein einziger Stolz iſt, das ganz allein die Quelle von allem iſt, aller Kraft, aller Seligkeit und alles Elends. Ach was ich weis, kann jeder wiſſen. - Mein Herz hab ich allein. * am 25. May. || Ich hatte etwas im Kopfe, davon ich euch nichts ||||| ſagen wollte, bis es ausgeführt wäre, jezt da nichts draus wird, iſt's eben ſo gut. Ich wollte in Krieg! Das iſt mir lang am Herzen gelegen. Vornehmlich darum bin ich dem Fürſten hieher ge- folgt, der General in * * * ſchen Dienſten iſt. Auf einem Spaziergange entdekte ich ihm mein Vor- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 143 Vorhaben, er widerrieth mir's, und es müßte bey mir mehr Leidenſchaft als Grille geweſen ſeyn, wenn ich ſeinen Gründen nicht hätte Gehör geben wollen. * am 11. Iuni. || Sag was Du willſt, ich kann nicht länger blei- ||||| ben. Was ſoll ich hier? Die Zeit wird mir lang. Der Fürſt hält mich wie ſeines Glei- chen gut, und doch bin ich nicht in meiner Lage. Und dann, wir haben im Grunde nichts gemeines mit einander. Er iſt ein Mann von Verſtande, aber von ganz gemeinem Verſtande, ſein Umgang unterhält mich nicht mehr, als wenn ich ein wohl- geſchrieben Buch leſe. Noch acht Tage bleib ich, und dann zieh ich wieder in der Irre herum. Das beſte, was ich hier gethan habe, iſt mein Zeichnen. Und der Fürſt fühlt in der Kunſt, und würde noch ſtärker fühlen, wenn er nicht durch das garſtige, wiſſenſchaftliche Weſen, und durch die gewöhnliche Terminologie eingeſchränkt wäre. Manchmal knirſch ich mit den Zähnen, wenn ich ihn mit war- mer Imagination ſo an Natur und Kunſt herum führe ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 144 >>>>>>>>>>>>>>> führe und er's auf einmal recht gut zu machen denkt, wenn er mit einem geſtempelten Kunſtworte drein tölpelt. * am 18. Iuni. || Wo ich hin will? Das laß Dir im Vertrauen ||||| eröfnen. Vierzehn Tage muß ich doch noch hier bleiben, und dann hab ich mir weis gemacht, daß ich die Bergwerke in * * ſchen beſuchen wollte, iſt aber im Grunde nichts dran, ich will nur Lot- ten wieder näher, das iſt alles. Und ich lache über mein eigen Herz - und thu ihm ſeinen Willen. * am 29. Iuli. || Nein es iſt gut! Es iſt alles gut! Ich ihr ||||| Mann! O Gott, der du mich machteſt, wenn du mir dieſe Seligkeit bereitet hätteſt, mein ganzes Leben ſollte ein anhaltendes Gebet ſeyn. Ich will nicht rechten, und verzeih mir dieſe Thränen, ver- zeih mir meine vergeblichen Wünſche. - Sie meine Frau! Wenn ich das liebſte Geſchöpf unter der Sonne in meine Arme geſchloſſen hätte - Es geht ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 145 geht mir ein Schauder durch den ganzen Körper, Wilhelm, wenn Albert ſie um den ſchlanken Leib faßt. Und, darf ich's ſagen? Warum nicht, Wil- helm, ſie wäre mit mir glücklicher geworden als mit ihm! O er iſt nicht der Menſch, die Wün- ſche dieſes Herzens alle zu füllen. Ein gewiſſer Mangel an Fühlbarkeit, ein Mangel - nimm's wie du willſt, daß ſein Herz nicht ſympathetiſch ſchlägt bey - Oh! - bey der Stelle eines lieben Buchs, wo mein Herz und Lottens in einem zuſammen treffen. In hundert andern Vorfällen, wenn's kommt, daß unſere Empfindungen über eine Handlung eines dritten laut werden. Lieber Wil- helm! - Zwar er liebt ſie von ganzer Seele, und ſo eine Liebe was verdient die nicht - Ein unerträglicher Menſch hat mich unterbro- chen. Meine Thränen ſind getroknet. Ich bin zerſtreut. Adieu Lieber. K am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 146 <<<<<<<<<<<<<<< * am 4. Auguſt. || Es geht mir nicht allein ſo. Alle Menſchen ||||| werden in ihren Hofnungen getäuſcht, in ih- ren Erwartungen betrogen. Ich beſuchte mein gu- tes Weib unter der Linde. Der ältſte Bub lief mir entgegen, ſein Freudengeſchrey führte die Mut- ter herbey, die ſehr niedergeſchlagen ausſah. Ihr erſtes Wort war: Guter Herr! ach mein Hanns iſt mir geſtorben, es war der jüngſte ihrer Knaben, ich war ſtille, und mein Mann ſagte ſie, iſt aus der Schweiz zurük, und hat nichts mit gebracht, und ohne gute Leute hätte er ſich heraus betteln müſſen. Er hatte das Fieber kriegt unterwegs. Ich konnte ihr nichts ſagen, und ſchenkte dem klei- nen was, ſie bat mich einige Aepfel anzunehmen, das ich that und den Ort des traurigen Andenkens verließ. * am 21. Aug. || Wie man eine Hand umwendet, iſt's anders ||||| mit mir. Manchmal will ſo ein freudiger Blik des Lebens wieder aufdämmern, ach nur für einen ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 147 einen Augenblik! Wenn ich mich ſo in Träumen verliehre, kann ich mich des Gedankens nicht er- wehren: Wie, wenn Albert ſtürbe! Du würdeſt! ja ſie würde - und dann lauf ich dem Hirnge- ſpinſte nach, bis es mich an Abgründe führt, vor denen ich zurükbebe. Wenn ich ſo dem Thore hinaus gehe, den Weg den ich zum erſtenmal fuhr, Lotten zum Tanze zu holen, wie war das all ſo anders! Alles, alles iſt vorüber gegangen! Kein Wink der vorigen Welt, kein Pulsſchlag meines damaligen Gefühls. Mir iſt's, wie's einem Geiſte ſeyn müßte, der in das verſengte verſtörte Schloß zurükkehrte, das er als blühender Fürſt einſt gebaut und mit allen Gaben der Herrlichkeit ausgeſtattet, ſterbend ſeinem ge- liebten Sohne hoffnungsvoll hinterlaſſen. * am 3. September. || Ich begreife manchmal nicht, wie ſie ein ande- ||||| rer lieb haben kann, lieb haben darf, da ich ſie ſo ganz allein, ſo innig, ſo voll liebe, nichts anders kenne, noch weis, noch habe als ſie. K 2 am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 148 >>>>>>>>>>>>>>> * am 6. Sept. || Es hat ſchwer gehalten, bis ich mich entſchloß, ||||| meinen blauen einfachen Frak, in dem ich mit Lotten zum erſtenmal tanzte, abzulegen, er ward aber zulezt gar unſcheinbar. Auch hab ich mir ei- nen machen laſſen, ganz wie den vorigen, Kragen und Aufſchlag und auch wieder ſo gelbe Weſt und Hoſen dazu. Ganz will's es doch nicht thun. Ich weis nicht - Ich denke mit der Zeit ſoll mir der auch lieber werden. * am 15. Sept. || Man möchte ſich dem Teufel ergeben, Wilhelm, ||||| über all die Hunde, die Gott auf Erden dul- det, ohne Sinn und Gefühl an dem wenigen, was drauf noch was werth iſt. Du kennſt die Nuß- bäume, unter denen ich bey dem ehrlichen Pfarren zu St. ., mit Lotten geſeſſen, die herrlichen Nuß- bäume, die mich, Gott weis, immer mit dem gröſten Seelenvergnügen füllten. Wie vertraulich ſie ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 149 ſie den Pfarrhof machten, wie kühl und wie herr- lich die Aeſte waren. Und die Erinnerung bis zu den guten Kerls von Pfarrers, die ſie von ſo viel Iahren pflanzten. Der Schulmeiſter hat uns den einen Namen oft genannt, den er von ſeinem Gros- vater gehört hatte, und ſo ein braver Mann ſoll er geweſen ſeyn, und ſein Andenken war mir im- mer heilig, unter den Bäumen. Ich ſage Dir, dem Schulmeiſter ſtanden die Thränen in den Au- gen, da wir geſtern davon redeten, daß ſie abge- hauen worden - Abgehauen! Ich möchte ra- ſend werden, ich könnte den Hund ermorden, der den erſten Hieb dran that. Ich, der ich könnte mich vertrauren, wenn ſo ein paar Bäume in meinem Hofe ſtünden, und einer davon ſtürbe vor Alter ab, ich muß ſo zuſehn. Lieber Schaz, eins iſt doch dabey! Was Menſchengefühl iſt! Das ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfar- rern ſoll's an Butter und Eyern und übrigem Zu- trauen ſpüren, was für eine Wunde ſie ihrem Orte gegeben hat. Denn ſie iſt's, die Frau des neuen Pfarrers, unſer Alter iſt auch geſtorben, ein ha- geres, kränkliches Thier, das ſehr Urſache hat an K 3 der ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 150 <<<<<<<<<<<<<<< der Welt keinen Antheil zu nehmen, denn niemand nimmt Antheil an ihr. Eine Frazze, die ſich ab- giebt gelehrt zu ſeyn, ſich in die Unterſuchung des Canons melirt, gar viel an der neumodiſchen mo- raliſch kritiſchen Reformation des Chriſtenthums ar- beitet, und über Lavaters Schwärmereyen die Achſeln zukt, eine ganz zerrüttete Geſundheit hat, und auf Gottes Erdboden deswegen keine Freude. So ein Ding war's auch allein, um meine Nußbäume ab- zuhauen. Siehſt du, ich komme nicht zu mir! Stelle dir vor, die abfallenden Blätter machen ihr den Hof unrein und dumpfig, die Bäume neh- men ihr das Tageslicht, und wenn die Nüſſe reif ſind, ſo werfen die Knaben mit Steinen darnach, und das fällt ihr auf die Nerven, und das ſtört ſie in ihren tiefen Ueberlegungen, wenn ſie Kennikot, Semler und Michaelis, gegen einander abwiegt. Da ich die Leute im Dorfe, beſonders die Alten, ſo unzufrieden ſah, ſagt' ich: warum habt ihr's ge- litten? - Wenn der Schulz will, hier zu Lande, ſagten ſie, was kann man machen. Aber eins iſt recht geſchehn, der Schulz und der Pfarrer, der doch auch von ſeiner Frauen Grillen, die ihm ſo die ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 151 die Suppen nicht fett machen, etwas haben wollte, dachtens mit einander zu theilen, da erfuhr's die Kammer und ſagte: hier herein! und verkaufte die Bäume an den Meiſtbietenden. Sie liegen! O wenn ich Fürſt wäre! Ich wollt die Pfarrern, den Schulzen und die Kammer - Fürſt! - Ia wenn ich Fürſt wäre, was kümmerten mich die Bäume in meinem Lande. * am 10. Oktober. || Wenn ich nur ihre ſchwarzen Augen ſehe, iſt ||||| mirs ſchon wohl! Sieh, und was mich ver- drüſt, iſt, daß Albert nicht ſo beglükt zu ſeyn ſchei- net, als er - hoffte - als ich - zu ſeyn glaub- te - wenn - Ich mache nicht gern Gedanken- ſtriche, aber hier kann ich mich nicht anders aus- drukken - und mich dünkt deutlich genug. * am 12. Oktober. || Oſſian hat in meinem Herzen den Homer ver- ||||| drängt. Welch eine Welt, in die der Herr- liche mich führt. Zu wandern über die Haide, K 4 um- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 152 <<<<<<<<<<<<<<< umſaußt vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln, die Geiſter der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt. Zu hören vom Ge- bürge her, im Gebrülle des Waldſtroms, halb ver- wehtes Aechzen der Geiſter aus ihren Hölen, und die Wehklagen des zu Tode gejammerten Mädgens, um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine des edelgefallnen ihres Geliebten. Wenn ich ihn denn finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Haide die Fustapfen ſeiner Väter ſucht und ach! ihre Grabſteine findet. Und dann jammernd nach dem lieben Sterne des Abends hin- blikt, der ſich in's rollende Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele le- bendig werden, da noch der freundliche Stral den Gefahren der Tapfern leuchtete, und der Mond ihr bekränztes, ſiegrükkehrendes Schiff beſchien. Wenn ich ſo den tiefen Kummer auf ſeiner Stirne leſe, ſo den lezten verlaßnen Herrlichen in aller Ermattung dem Grabe zu wanken ſehe, wie er im- mer neue ſchmerzlich glühende Freuden in der kraft- loſen Gegenwart der Schatten ſeiner Abgeſchiede- nen einſaugt, und nach der kalten Erde dem hohen wehen- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 153 wehenden Graſe niederſieht, und ausruft: Der Wanderer wird kommen, kommen, der mich kannte in meiner Schönheit und fragen, wo iſt der Sän- ger, Fingals treflicher Sohn? Sein Fustritt geht über mein Grab hin, und er fragt vergebens nach mir auf der Erde. O Freund! ich möchte gleich einem edlen Waffenträger das Schwerd ziehen und meinen Fürſten von der zükkenden Quaal des lang- ſam abſterbenden Lebens auf einmal befreyen, und dem befreyten Halbgott meine Seele nachſenden. * am 19. Oktober. || Ach dieſe Lükke! Dieſe entſezliche Lükke, die ich ||||| hier in meinem Buſen fühle! ich denke oft! - Wenn du ſie nur einmal, nur einmal an dieſes Herz drükken könnteſt. All dieſe Lükke würde aus- gefüllt ſeyn. * am 26. Oktober. || Ia es wird mir gewiß, Lieber! gewiß und im- ||||| mer gewiſſer, daß an dem Daſeyn eines Ge- ſchöpfs ſo wenig gelegen iſt, ganz wenig. Es kam K 5 eine ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 154 >>>>>>>>>>>>>>> eine Freundinn zu Lotten, und ich gieng herein in's Nebenzimmer, ein Buch zu nehmen, und konnte nicht leſen, und dann nahm ich eine Feder zu ſchrei- ben. Ich hörte ſie leiſe reden, ſie erzählten ein- ander inſofern unbedeutende Sachen, Stadtneuig- keiten: wie dieſe heyrathet, wie jene krank, ſehr krank iſt. Sie hat einen troknen Huſten, die Kno- chen ſtehn ihr zum Geſichte heraus, und kriegt Ohnmachten, ich gebe keinen Kreuzer für ihr Leben, ſagte die eine. Der N. N. iſt auch ſo übel dran, ſagte Lotte. Er iſt ſchon geſchwollen, ſagte die an- dre. Und meine lebhafte Einbildungskraft verſezte mich an's Bette dieſer Armen, ich ſah ſie, mit wel- chem Widerwillen ſie dem Leben den Rükken wand- ten, wie ſie - Wilhelm, und meine Weibgens redeten davon, wie man eben davon redt: daß ein Fremder ſtirbt. - Und wenn ich mich um- ſehe, und ſeh das Zimmer an, und ringsum mich Lottens Kleider, hier ihre Ohrringe auf dem Tiſchgen, und Alberts Scripturen und dieſe Meubels, denen ich nun ſo befreundet bin, ſo gar dieſem Dintefaß; und denke: Sieh, was du nun dieſem Hauſe biſt! Alles in allem. Deine Freunde ehren ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 155 ehren dich! Du machſt oft ihre Freude, und dei- nem Herzen ſcheint's, als wenn es ohne ſie nicht ſeyn könnte, und doch - wenn du nun giengſt? wenn du aus dieſem Kreiſe ſchiedeſt, würden ſie? wie lange würden ſie die Lükke fühlen, die dein Verluſt in ihr Schikſal reißt? wie lang? - O ſo vergänglich iſt der Menſch, daß er auch da, wo er ſeines Daſeyns eigentliche Gewißheit hat, da, wo er den einzigen wahren Eindruk ſeiner Ge- genwart macht; in dem Andenken in der Seele ſeiner Lieben, daß er auch da verlöſchen, verſchwin- den muß, und das - ſo bald! * am 27. Oktober. || Ich möchte mir oft die Bruſt zerreiſſen und das ||||| Gehirn einſtoßen, daß man einander ſo we- nig ſeyn kann. Ach die Liebe und Freude und Wärme und Wonne, die ich nicht hinzu bringe, wird mir der andre nicht geben, und mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit, werd ich den andern nicht beglükken der kalt und kraftlos vor mir ſteht. am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 156 >>>>>>>>>>>>>>> * am 30. Oktober. || Wenn ich nicht ſchon hundertmal auf dem Punkte ||||| geſtanden bin ihr um den Hals zu fallen. Weiß der große Gott, wie einem das thut, ſo viel Liebenswürdigkeit vor ſich herumkreuzen zu ſehn und nicht zugreifen zu dürfen. Und das Zugreifen iſt doch der natürlichſte Trieb der Menſchheit. Grei- fen die Kinder nicht nach allem was ihnen in Sinn fällt? Und ich? * am 3. November. || Weis Gott, ich lege mich ſo oft zu Bette mit ||||| dem Wunſche, ja manchmal mit der Hof- nung, nicht wieder zu erwachen, und Morgens ſchlag ich die Augen auf, ſehe die Sonne wieder, und bin elend. O daß ich launiſch ſeyn könnte, könnte die Schuld auf's Wetter, auf einen drit- ten, auf eine fehlgeſchlagene Unternehmung ſchie- ben; ſo würde die unerträgliche Laſt des Unwillens doch nur halb auf mir ruhen. Weh mir, ich fühle zu wahr, daß an mir allein alle Schuld liegt, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 157 liegt, - nicht Schuld! Genug daß in mir die Quelle alles Elendes verborgen iſt, wie es ehemals die Quelle aller Seligkeiten war. Bin ich nicht noch eben derſelbe, der ehemals in aller Fülle der Empfindung herumſchwebte, dem auf jedem Tritte ein Paradies folgte, der ein Herz hatte, eine ganze Welt liebevoll zu umfaſſen. Und das Herz iſt jezo todt, aus ihm fließen keine Entzükkungen mehr, meine Augen ſind trokken, und meine Sinnen, die nicht mehr von erquikkenden Thränen gelabt wer- den, ziehen ängſtlich meine Stirne zuſammen. Ich leide viel, denn ich habe verlohren was mei- nes Lebens einzige Wonne war, die heilige bele- bende Kraft, mit der ich Welten um mich ſchuf. Sie iſt dahin! - Wenn ich zu meinem Fenſter hinaus an den fernen Hügel ſehe, wie die Morgen- ſonne über ihn her den Nebel durchbricht und den ſtillen Wieſengrund beſcheint, und der ſanfte Fluß zwiſchen ſeinen entblätterten Weiden zu mir her- ſchlängelt, o wenn da dieſe herrliche Natur ſo ſtarr vor mir ſteht wie ein lakirt Bildgen, und all die Wonne keinen Tropfen Seligkeit aus meinem Her- zen herauf in das Gehirn pumpen kann, und der ganze ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 158 >>>>>>>>>>>>>>> ganze Kerl vor Gottes Angeſicht ſteht wie ein ver- ſiegter Brunn, wie ein verlechter Eymer! Ich habe mich ſo oft auf den Boden geworfen und Gott um Thränen gebeten, wie ein Akkerſmann um Regen, wenn der Himmel ehern über ihm iſt, und um ihn die Erde verdürſtet. Aber, ach ich fühls! Gott giebt Regen und Sonnenſchein nicht unſerm ungeſtümen Bitten, und jene Zeiten, deren Andenken mich quält, warum waren ſie ſo ſelig? als weil ich mit Geduld ſeinen Geiſt erwartete, und die Wonne, die er über mich ausgoß mit ganzem, innig dankbarem Herzen auf- nahm. * am 8. Nov. || Sie hat mir meine Exzeſſe vorgeworfen! Ach ||||| mit ſo viel Liebenswürdigkeit! Meine Ex- zeſſe, daß ich mich manchmal von einem Glas Wein verleiten laſſe, eine Bouteille zu trinken. Thun Sie's nicht! ſagte ſie, denken Sie an Lotten! - Denken! ſagt' ich, brauchen Sie mir das zu heiſ- ſen? Ich denke! - Ich denke nicht! Sie ſind immer vor meiner Seelen. Heut ſaß ich an dem Flekke, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 159 Flekke, wo Sie neulich aus der Kutſche ſtiegen - Sie redte was anders, um mich nicht tiefer in den Text kommen zu laſſen. Beſter, ich bin dahin! Sie kann mit mir machen was ſie will. * am 15. Nov. || Ich danke Dir, Wilhelm, für Deinen herzlichen ||||| Antheil, für Deinen wohlmeynenden Rath, und bitte Dich, ruhig zu ſeyn. Laß mich ausdul- den, ich habe bey all meiner Müdſeligkeit noch Kraft genug durchzuſezzen. Ich ehre die Religion, das weiſt Du, ich fühle, daß ſie manchem Ermatte- ten Stab, manchem Verſchmachtenden Erquikkung iſt. Nur - kann ſie denn, muß ſie denn das ei- nem jeden ſeyn? Wenn Du die große Welt an- ſiehſt; ſo ſiehſt du Tauſende, denen ſie's nicht war, Tauſende denen ſie's nicht ſeyn wird, gepredigt oder ungepredigt, und muß ſie mir's denn ſeyn? Sagt nicht ſelbſt der Sohn Gottes: daß die um ihn ſeyn würden, die ihm der Vater gegeben hat. Wenn ich ihm nun nicht gegeben bin! Wenn mich nun der Vater für ſich behalten will, wie mir mein ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 160 >>>>>>>>>>>>>>> mein Herz ſagt! Ich bitte Dich, lege das nicht falſch aus, ſieh nicht etwa Spott in dieſen unſchul- digen Worten, es iſt meine ganze Seele, die ich dir vorlege. Sonſt wollt ich lieber, ich hätte geſchwie- gen, wie ich denn über all das, wovon jedermann ſo wenig weis als ich, nicht gern ein Wort ver- liehre. Was iſt's anders als Menſchenſchikſal, ſein Maas auszuleiden, ſeinen Becher auszutrinken. - Und ward der Kelch dem Gott vom Himmel auf ſeiner Menſchenlippe zu bitter, warum ſoll ich gros thun und mich ſtellen, als ſchmekte er mir ſüſſe. Und warum ſollte ich mich ſchämen, in dem ſchrök- lichen Augenblikke, da mein ganzes Weſen zwiſchen Seyn und Nichtſeyn zittert, da die Vergangenheit wie ein Bliz über dem finſtern Abgrunde der Zu- kunft leuchtet, und alles um mich her verſinkt, und mit mir die Welt untergeht. - Iſt es da nicht die Stimme der ganz in ſich gedrängten, ſich ſelbſt ermangelnden, und unaufhaltſam hinabſtürzenden Creatur, in den innern Tiefen ihrer vergebens auf- arbeitenden Kräfte zu knirſchen. Mein Gott! Mein Gott! warum haſt du mich verlaſſen? Und ſollt ich mich des Ausdruks ſchämen, ſollte mir's vor ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 161 vor dem Augenblikke bange ſeyn, da ihm der nicht entgieng, der die Himmel zuſammenrollt wie ein Tuch. * am 21. Nov. || Sie ſieht nicht, ſie fühlt nicht, daß ſie einen ||||| Gift bereitet, der mich und ſie zu Grunde richten wird. Und ich mit voller Wolluſt ſchlurfe den Becher aus, den ſie mir zu meinem Verderben reicht. Was ſoll der gütige Blik, mit dem ſie mich oft - oft? - nein nicht oft, aber doch manchmal an- ſieht, die Gefälligkeit, womit ſie einen unwillkühr- lichen Ausdruk meines Gefühls aufnimmt, das Mit- leiden mit meiner Duldung, das ſich auf ihrer Stirne zeichnet. Geſtern als ich weggieng, reichte ſie mir die Hand und ſagte: Adieu, lieber Werther! Lieber Werther! Es war das erſtemal, daß ſie mich Lieber hies, und mir giengs durch Mark und Bein. Ich hab mir's hundertmal wiederholt und geſtern Nacht da ich in's Bette gehen wollte, und mit mir ſelbſt allerley ſchwazte, ſag ich ſo auf einmal: L gute ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 162 <<<<<<<<<<<<<<< gute Nacht, lieber Werther! Und mußte hernach ſelbſt über mich lachen. * am 24. Nov. || Sie fühlt, was ich dulde. Heut iſt mir ihr ||||| Blik tief durch's Herz gedrungen. Ich fand ſie allein. Ich ſagte nichts und ſie ſah mich an. Und ich ſah nicht mehr in ihr die liebliche Schön- heit, nicht mehr das Leuchten des treflichen Gei- ſtes; das war all vor meinen Augen verſchwun- den. Ein weit herrlicherer Blik würkte auf mich, voll Ausdruk des innigſten Antheils des ſüßten Mitleidens. Warum durft' ich mich nicht ihr zu Füſſen werfen! warum durft ich nicht an ihrem Halſe mit tauſend Küſſen antworten - Sie nahm ihre Zuflucht zum Claviere und hauchte mit ſüſſer leiſer Stimme harmoniſche Laute zu ihrem Spiele. Nie hab ich ihre Lippen ſo reizend geſehn, es war, als wenn ſie ſich lechzend öffneten, jene ſüſſe Töne in ſich zu ſchlürfen, die aus dem Inſtru- mente hervorquollen, und nur der heimliche Wie- derſchall aus dem ſüſſen Munde zurükklänge - Ia ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 163 Ia wenn ich dir das ſo ſagen könnte! Ich wi- derſtund nicht länger, neigte mich und ſchwur: Nie will ich's wagen, einen Kuß euch einzudrük- ken Lippen, auf denen die Geiſter des Himmels ſchweben - Und doch - ich will - Ha ſiehſt du, das ſteht wie eine Scheidewand vor meiner Seelen - dieſe Seligkeit - und da untergegan- gen, die Sünde abzubüſſen - Sünde? * am 30. Nov. || Ich ſoll, ich ſoll nicht zu mir ſelbſt kommen, wo ||||| ich hintrete, begegnet mir eine Erſcheinung, die mich aus aller Faſſung bringt. Heut! O Schik- ſal! O Menſchheit! Ich gehe an dem Waſſer hin in der Mit- tagsſtunde, ich hatte keine Luſt zu eſſen. Alles war ſo öde, ein naßkalter Abendwind blies vom Ber- ge, und die grauen Regenwolken zogen das Thal hinein. Von ferne ſeh ich einen Menſchen in ei- nem grünen ſchlechten Rokke, der zwiſchen den Fel- ſen herumkrabelte und Kräuter zu ſuchen ſchien. Als ich näher zu ihm kam und er ſich auf das L 2 Geräuſch ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 164 <<<<<<<<<<<<<<< Geräuſch, das ich machte, herumdrehte, ſah ich ei- ne gar intereſſante Phyſiognomie, darinn eine ſtille Trauer den Hauptzug machte, die aber ſonſt nichts als einen graden guten Sinn ausdrükte, ſeine ſchwarzen Haare waren mit Nadeln in zwey Rollen geſtekt, und die übrigen in einen ſtarken Zopf geflochten, der ihm den Rükken herunter hieng. Da mir ſeine Kleidung einen Menſchen von ge- ringem Stande zu bezeichnen ſchien, glaubt' ich, er würde es nicht übel nehmen, wenn ich auf ſei- ne Beſchäftigung aufmerkſam wäre, und daher frag- te ich ihn, was er ſuchte? Ich ſuche, antwortete er mit einem tiefen Seufzer, Blumen - und fin- de keine - Das iſt auch die Iahrszeit nicht, ſagt' ich lächelnd. - Es giebt ſo viel Blumen, ſagt er, indem er zu mir herunter kam. In mei- nem Garten ſind Roſen und Ie länger ie lieber zweyerley Sorten, eine hat mir mein Vater ge- geben, ſie wachſen wie's Unkraut, ich ſuche ſchon zwey Tage darnach, und kann ſie nicht finden. Da haußen ſind auch immer Blumen, gelbe und blaue und rothe, und das Tauſend Güldenkraut hat ein ſchön Blümgen. Keines kann ich finden. Ich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 165 Ich merkte was unheimliches, und drum fragte ich durch einen Umweg: Was will er denn mit den Blumen? Ein wunderbares zukkendes Läch- len verzog ſein Geſicht. Wenn er mich nicht ver- rathen will, ſagt er, indem er den Finger auf den Mund drükte, ich habe meinem Schazze einen Straus verſprochen. Das iſt brav, ſagt ich. O ſagt' er, ſie hat viel andre Sachen, ſie iſt reich. Und doch hat ſie ſeinen Straus lieb, verſezt ich. O! fuhr er fort, ſie hat Iuwelen und eine Krone. Wie heißt ſie denn? - Wenn mich die General- ſtaaten bezahlen wollten! verſezte er, ich wär ein anderer Menſch! Ia es war einmal eine Zeit, da mir's ſo wohl war. Iezt iſt's aus mit mir, ich bin nun - Ein naſſer Blik zum Himmel drük- te alles aus. Er war alſo glüklich? fragt ich. Ach ich wollt ich wäre wieder ſo! ſagt' er, da war mir's ſo wohl, ſo luſtig, ſo leicht wie ein Fiſch im Waſſer! Heinrich! rufte eine alte Frau, die den Weg herkam. Heinrich, wo ſtikſt du? Wir ha- ben dich überall geſucht. Komm zum Eſſen. Iſt das Euer Sohn? fragt' ich zu ihr tretend. Wohl mein armer Sohn, verſezte ſie. Gott hat mir ein L 3 ſchwe- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 166 >>>>>>>>>>>>>>> ſchweres Kreuz aufgelegt. Wie lang iſt er ſo? fragt ich. So ſtille, ſagte ſie, iſt er nun ein halb Iahr. Gott ſey Dank, daß es nur ſo weit iſt. Vorher war er ein ganz Iahr raſend, da hat er an Ketten im Tollhauſe gelegen. Iezt thut er niemand nichts, nur hat er immer mit Königen und Kayſern zu thun. Es war ein ſo guter ſtil- ler Menſch, der mich ernähren half, ſeine ſchöne Hand ſchrieb, und auf einmal wird er tiefſinnig, fällt in ein hitzig Fieber, daraus in Raſerey, und nun iſt er, wie ſie ihn ſehen. Wenn ich ihm er- zählen ſollt, Herr - Ich unterbrach ihren Strom von Erzählungen mit der Frage: was denn das für eine Zeit wäre von der er ſo rühmte, daß er ſo glüklich, ſo wohl darinn geweſen wäre. Der thörige Menſch, rief ſie mit mitleidigem Lächlen, da meint er die Zeit, da er von ſich war, das rühmt er immer! Das iſt die Zeit, da er im Tollhauſe war, wo er nichts von ſich wußte - Das fiel mir auf wie ein Donnerſchlag, ich drück- te ihr ein Stük Geld in die Hand und verließ ſie eilend. Da ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 167 Da du glüklich warſt! rief ich aus, ſchnell vor mich hin nach der Stadt zu gehend. Da dir's wohl war wie einem Fiſch im Waſſer! - Gott im Himmel! Haſt du das zum Schikſaal der Menſchen gemacht, daß ſie nicht glüklich ſind, als eh ſie zu ihrem Verſtande kommen, und wenn ſie ihn wieder verliehren! Elender und auch wie beneid ich deinen Trübſinn, die Verwirrung dei- ner Sinne, in der du verſchmachteſt! Du gehſt hoffnungsvoll aus, deiner Königin Blumen zu pflükken - im Winter - und traureſt, da du keine findeſt, und begreifſt nicht warum, du keine finden kannſt. Und ich - und ich gehe ohne Hoffnung ohne Zwek heraus, und kehr wieder heim wie ich gekommen bin. - Du wähnſt, welcher Menſch du ſeyn würdeſt wenn die Generalſtaaten dich bezahlten. Seliges Geſchöpf, das den Man- gel ſeiner Glükſeligkeit einer irdiſchen Hinderniß zuſchreiben kann. - Du fühlſt nicht! Du fühlſt nicht! daß in deinem zerſtörten Herzen, in deinem zerrütteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle Könige der Erde dir nicht helfen können. L 4 Müſſe ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 168 <<<<<<<<<<<<<<< Müſſe der troſtlos umkommen, der eines Kranken ſpottet, der nach der entfernteſten Quelle reiſt die ſeine Krankheit vermehren, ſein Ausleben ſchmerzhafter machen wird, der ſich über das be- drängte Herz erhebt, das, um ſeine Gewiſſenſbiſſe los zu werden und die Leiden ſeiner Seele abzu- thun, ſeine Pilgrimſchaft nach dem heiligen Gra- be thut! Ieder Fußtritt der ſeine Solen auf un- gebahntem Wege durchſchneidet, iſt ein Lindrungs- tropfen der geängſteten Seele, und mit jeder aus- gedauerten Tagreiſe legt ſich das Herz um viel Bedrängniß leichter nieder. - Und dürft ihr das Wahn nennen - Ihr Wortkrämer auf eu- rem Polſtern - Wahn! - O Gott! du ſiehſt meine Thränen - Mußteſt du, der du den Men- ſchen arm genug erſchufſt, ihm auch Brüder zu- geben, die ihm das bisgen Armuth, das bisgen Vertrauen noch raubten, das er auf dich hat, auf dich, du Allliebender, denn das Vertrauen zu einer heilenden Wurzel, zu den Thränen des Weinſtoks, was iſt's, als Vertrauen zu dir, daß du in alles, was uns umgiebt, Heil und Lindrungskraft gelegt haſt, der wir ſo ſtündlich bedürfen. - Vater, den ich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 169 ich nicht kenne! Vater, der ſonſt meine ganze See- le füllte, und nun ſein Angeſicht von mir gewen- det hat! Rufe mich zu dir! Schweige nicht län- ger! Dein Schweigen wird dieſe durſtende See- le nicht aufhalten - Und würde ein Menſch, ein Vater zürnen können, dem ſein unvermuthet rük kehrender Sohn um den Hals fiele und rief: Ich bin wieder da mein Vater. Zürne nicht, daß ich die Wanderſchaft abbreche, die ich nach deinem Willen länger aushalten ſollte. Die Welt iſt überall einerley, auf Müh und Arbeit, Lohn und Freude; aber was ſoll mir das? mir iſt nur wohl wo du biſt, und vor deinem Angeſichte will ich leiden und genießen - Und du, lieber himm- liſcher Vater, ſollteſt ihn von dir weiſen? * am 1. Dez. || Wilhelm! der Menſch, von dem ich dir ſchrieb, ||||| der glükliche Unglükliche, war Schreiber bey Lottens Vater, und eine unglükliche Leiden- ſchaft zu ihr, die er nährte, verbarg, entdekte, und aus dem Dienſt, geſchikt wurde, hat ihn raſend ge- L 5 macht. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 170 <<<<<<<<<<<<<<< macht. Fühle Kerl, bey dieſen troknen Worten, mit welchem Unſinne mich die Geſchichte ergriffen hat, da mir ſie Albert eben ſo gelaſſen erzählte, als du's vielleicht lieſeſt. * am 4. Dez. || Ich bitte dich - ſiehſt du, mit mir iſt's aus - ||||| Ich trag das all nicht länger. Heut ſas ich bey ihr - ſas, ſie ſpielte auf ihrem Clavier, manch- faltige Melodien und all den Ausdruk! all! all! - Was willſt du? - Ihr Schweſtergen puzte ihre Puppe auf meinem Knie. Mir kamen die Thrä- nen in die Augen. Ich neigte mich und ihr Trau- ring fiel mir in's Geſicht - Meine Thränen floſſen - Und auf einmal fiel ſie in die alte him- melſüſſe Melodie ein, ſo auf einmal, und mir durch die Seele gehn ein Troſtgefühl und eine Erinne- rung all des Vergangenen all der Zeiten, da ich das Lied gehört, all der düſtern Zwiſchenräume des Verdruſſes, der fehlgeſchlagenen Hoffnungen, und dann - Ich gieng in der Stube auf und nieder, mein Herz erſtikte unter all dem. Um Gottes ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 171 Gottes Willen, ſagt ich mit einem heftigen Aus- bruch hin gegen ſie fahrend, um Gottes Willen hö- ren ſie auf. Sie hielt, und ſah mich ſtarr an. Werther, ſagte ſie, mit einem Lächlen, das mir durch die Seele gieng, Werther, ſie ſind ſehr krank, ihre Lieblingsgerichte widerſtehen ihnen. Gehen ſie! Ich bitte ſie, beruhigen ſie ſich. Ich riß mich von ihr weg, und - Gott! du ſiehſt mein Elend, und wirſt es enden. * am 6 Dez. || Wie mich die Geſtalt verfolgt. Wachend und ||||| träumend füllt ſie meine ganze Seele. Hier, wenn ich die Augen ſchlieſſe, hier in mei- ner Stirne, wo die innere Sehkraft ſich verei- nigt, ſtehen ihre ſchwarzen Augen. Hier! Ich kann dir's nicht ausdrükken. Mach ich meine Au- gen zu, ſo ſind ſie da, wie ein Meer, wie ein Abgrund ruhen ſie vor mir, in mir, füllen die Sinnen meiner Stirne. Was iſt der Menſch? der geprieſene Halb- gott! Ermangeln ihm nicht da eben, die Kräfte wo ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 172 >>>>>>>>>>>>>>> wo er ſie am nöthigſten braucht? Und wenn er in Freude ſich aufſchwingt, oder im Leiden ver- ſinkt, wird er nicht in beyden eben da aufgehal- ten, eben da wieder zu dem ſtumpfen kalten Be- wuſtſeyn zurük gebracht, da er ſich in der Fülle des Unendlichen zu verliehren ſehnte. * am 8 Dez. || Lieber Wilhelm, ich bin in einem Zuſtande, in dem ||||| jene Unglüklichen müſſen geweſen ſeyn, von denen man glaubte, ſie würden von einem böſen Geiſte umher getrieben. Manchmal ergreift mich's, es iſt nicht Angſt, nicht Begier! es iſt ein inne- res unbekanntes Toben, das meine Bruſt zu zer- reiſſen droht, das mir die Gurgel zupreßt! We- he! Wehe! Und dann ſchweif ich umher in den furchtbaren nächtlichen Scenen dieſer menſchen- feindlichen Iahrszeit. Geſtern Nacht mußt ich hinaus. Ich hatte noch Abends gehört, der Fluß ſey übergetreten und die Bäche all, und von Wahlheim herunter all mein Liebesthal überſchwemmt. Nachts nach eilf rannt ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 173 rannt ich hinaus. Ein fürchterliches Schauſpiel. Vom Fels herunter die wühlenden Fluthen in dem Mondlichte wirbeln zu ſehn, über Aekker und Wie- ſen und Hekken und alles, und das weite Thal hinauf und hinab eine ſtürmende See im Sau- ſen des Windes. Und wenn denn der Mond wie- der hervortrat und über der ſchwarzen Wolke ruh- te, und vor mir hinaus die Fluth in fürchterlich herrlichen Wiederſchein rollte und klang, da über- fiel mich ein Schauer, und wieder ein Sehnen! Ach! Mit offenen Armen ſtand ich gegen den Abgrund, und athmete hinab! hinab, und ver- lohr mich in der Wonne, all meine Quaalen all mein Leiden da hinab zu ſtürmen, dahin zu brau- ſen wie die Wellen. Oh! Und den Fuß vom Boden zu heben! Vermochteſt du nicht und alle Qualen zu enden! - Meine Uhr iſt noch nicht ausgelaufen - ich, fühl's! O Wilhelm, wie gern hätt ich all mein Menſchſeyn drum gegeben, mit jenem Sturmwinde die Wolken zu zerreiſſen, die Fluthen zu faſſen. Ha! Und wird nicht vielleicht dem Eingekerkerten einmal dieſe Wonne zu Theil! - Und ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 174 >>>>>>>>>>>>>>> Und wie ich wehmüthig hinab ſah auf ein Pläzgen, wo ich mit Lotten unter einer Weide ge- ruht, auf einem heiſſen Spaziergange, das war auch überſchwemmt, und kaum daß ich die Weide er- kannte! Wilhelm. Und ihre Wieſen, dacht ich, und all die Gegend um ihr Iagdhaus, wie jezt vom reiſſenden Strome, verſtört unſere Lauben, dacht ich. Und der Vergangenheit Sonnenſtrahl blikte herein - Wie einem Gefangenen ein Traum von Heerden, Wieſen und Ehrenämtern. Ich ſtand! - Ich ſchelte mich nicht, denn ich ha- be Muth zu ſterben - Ich hätte - Nun ſiz ich hier wie ein altes Weib, das ihr Holz an Zäu- nen ſtoppelt, und ihr Brod an den Thüren, um ihr hinſterbendes freudloſes Daſeyn noch einen Au- genblik zu verlängern und zu erleichtern. * am 17. Dez. || Was iſt das, mein Lieber? Ich erſchrekke vor ||||| mir ſelbſt! Iſt nicht meine Liebe zu ihr die heiligſte, reinſte, brüderlichſte Liebe? Hab ich jemals einen ſtrafbaren Wunſch in meiner Seele ge- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<<<<<<<< 175 gefühlt - ich will nicht betheuren - und nun - Träume! O wie wahr fühlten die Menſchen, die ſo widerſprechende Würkungen fremden Mächten zuſchrieben. Dieſe Nacht! Ich zittere es zu ſa- gen, hielt ich ſie in meinen Armen, feſt an mei- nen Buſen gedrükt und dekte ihren lieben lispeln- den Mund mit unendlichen Küſſen. Mein Auge ſchwamm in der Trunkenheit des ihrigen. Gott! bin ich ſtrafbar, daß ich auch jezt noch eine Selig- keit fühle, mir dieſe glühende Freuden mit voller Innigkeit zurük zu rufen, Lotte! Lotte! - Und mit mir iſt's aus! Meine Sinnen verwirren ſich. Schon acht Tage hab ich keine Beſinnungskraft, meine Augen ſind voll Thränen. Ich bin nir- gends wohl und überall wohl. Ich wünſche nichts, verlange nichts. Mir wärs beſſer ich gienge. Der ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 176 >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> D e r H e r a u s g e b e r an den Leſer. || Die ausführliche Geſchichte der lezten merkwür- ||||| digen Tage unſers Freundes zu liefern, ſeh ich mich genöthiget, ſeine Briefe durch Erzählung zu unterbrechen, wozu ich den Stof aus dem Mun- de Lottens, Albertens, ſeines Bedienten, und an- derer Zeugen geſammlet habe. Werthers Leidenſchaft hatte den Frieden zwi- ſchen Alberten und ſeiner Frau allmählig unter- graben, dieſer liebte ſie mit der ruhigen Treue ei- nes rechtſchafnen Manns, und der freundliche Um- gang mit ihr ſubordinirte ſich nach und nach ſei- nen Geſchäften. Zwar wollte er ſich nicht den Un- terſchied geſtehen, der die gegenwärtige Zeit den Bräutigams-Tagen ſo ungleich machte: doch fühl- te er innerlich einen gewiſſen Widerwillen gegen Werthers Aufmerkſamkeiten für Lotten, die ihn zu- gleich ein Eingriff in ſeine Rechte und ein ſtiller Vorwurf zu ſeyn ſcheinen mußten. Dadurch ward der üble Humor vermehrt, den ihm ſeine über- häuften, gehinderten, ſchlecht belohnten Geſchäfte manchmal gaben, und da denn Werthers Lage auch ihm ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 177 ihn zum traurigen Geſellſchafter machte, indem die Beängſtigung ſeines Herzens, die übrige Kräfte ſeines Geiſtes, ſeine Lebhaftigkeit, ſeinen Scharfſinn aufgezehrt hatte; ſo konnte es nicht fehlen daß Lotte zulezt ſelbſt mit angeſtekt wurde, und in eine Art von Schwermuth verfiel, in der Albert eine wachſende Leidenſchaft für ihren Liebhaber, und Werther einen tiefen Verdruß über das veränderte Betragen ihres Mannes zu entdekken glaubte. Das Mistrauen, womit die beyden Freunde einander anſahen, machte ihnen ihre wechſelſeitige Gegenwart höchſt beſchwer- lich. Albert mied das Zimmer ſeiner Frau, wenn Werther bey ihr war, und dieſer, der es merkte, ergriff nach einigen fruchtloſen Verſuchen ganz von ihr zu laſſen, die Gelegenheit, ſie in ſolchen Stun- den zu ſehen, da ihr Mann von ſeinen Geſchäften gehalten wurde. Daraus entſtund neue Unzufrie- denheit, die Gemüther verhezten ſich immer mehr gegen einander, bis zulezt Albert ſeiner Frau mit ziemlich troknen Worten ſagte: ſie möchte, wenig- ſtens um der Leute willen, dem Umgange mit Wer- thern eine andere Wendung geben, und ſeine allzu- öfteren Beſuche abſchneiden. M Ohn- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 178 >>>>>>>>>>>>>>> Ohngefähr um dieſe Zeit hatte ſich der Ent- ſchluß, dieſe Welt zu verlaſſen, in der Seele des armen Iungen näher beſtimmt. Es war von je her ſeine Lieblingsidee geweſen, mit der er ſich, be- ſonders ſeit der Rückkehr zu Lotten, immer getragen. Doch ſollte es keine übereilte, keine raſche That ſeyn, er wollte mit der beſten Ueberzeugung, mit der möglichſten ruhigen Entſchloſſenheit dieſen Schritt thun. Seine Zweifel, ſein Streit mit ſich ſelbſt, blikken aus einem Zettelgen hervor, das wahrſchein- lich ein angefangener Brief an Wilhelmen iſt, und ohne Datum, unter ſeinen Papieren gefunden worden. * || Ihre Gegenwart, ihr Schikſal, ihr Theilneh- ||||| men an dem meinigen, preßt noch die lezten Thränen aus meinem verſengten Gehirn. Den Vorhang aufzuheben und dahinter zu treten, das iſt's all! Und warum das Zaudern und Zagen? - Weil man nicht weis, wie's da- hin- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 179 hinten ausſieht? - und man nicht zurükkehrt? - Und daß das nun die Eigenſchaft unſeres Geiſtes iſt, da Verwirrung und Finſterniß zu ahnden, wovon wir nichts Beſtimmtes wiſſen. ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Den Verdruß, den er bey der Geſandtſchaft ge- habt, konnte er nicht vergeſſen. Er erwähnte deſ- ſen ſelten, doch wenn es auch auf die entfernteſte Weiſe geſchah, ſo konnte man fühlen, daß er ſeine Ehre dadurch unwiederbringlich gekränkt hielte, und daß ihm dieſer Vorfall eine Abneigung gegen alle Geſchäfte und politiſche Wirkſamkeit gegeben hatte. Daher überließ er ſich ganz der wunderbaren Em- pfind- und Denkensart, die wir aus ſeinen Brie- fen kennen, und einer endloſen Leidenſchaft, wor- über noch endlich alles, was thätige Kraft an ihm war, verlöſchen mußte. Das ewige einerley eines traurigen Umgangs mit dem liebenswürdigen und geliebten Geſchöpfe, deſſen Ruhe er ſtörte, das ſtürmende Abarbeiten ſeiner Kräfte, ohne Zwek und Ausſicht, drängten ihn endlich zu der ſchrökli- chen That. M 2 am ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 180 <<<<<<<<<<<<<<< * am 20. Dec. || Ich danke Deiner Liebe, Wilhelm, daß Du das ||||| Wort ſo aufgefangen haſt. Ia Du haſt recht: Mir wäre beſſer, ich gienge. Der Vorſchlag, den Du zu einer Rükkehr zu euch thuſt, gefällt mir nicht ganz, wenigſtens möcht ich noch gern einen Umweg machen, beſonders da wir anhaltenden Froſt und gute Wege zu hoffen haben. Auch iſt mir's ſehr lieb, daß Du kommen willſt, mich abzuholen, ver- zieh nur noch vierzehn Tage, und erwarte noch ei- nen Brief von mir mit dem weitern. Es iſt nö- thig, daß nichts gepflükt werde, eh es reif iſt. Und vierzehn Tage auf oder ab thun viel. Meiner Mutter ſollſt Du ſagen: daß ſie für ihren Sohn beten ſoll und daß ich ſie um Vergebung bitte, we- gen all des Verdruſſes, den ich ihr gemacht habe. Das war nun mein Schikſal, die zu betrüben, de- nen ich Freude ſchuldig war. Leb wohl, mein Theuerſter. Allen Segen des Himmels über Dich! Leb wohl! ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ An ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 181 An eben dem Tage, es war der Sonntag vor Weyhnachten, kam er abends zu Lotten, und fand ſie allein. Sie beſchäftigte ſich, einige Spiel- werke in Ordnung zu bringen, die ſie ihren kleinen Geſchwiſtern zum Chriſtgeſchenke zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Klei- nen haben würden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Oeffnung der Thüre, und die Er- ſcheinung eines aufgepuzten Baums mit Wachs- lichtern, Zukkerwerk und Aepfeln, in paradiſiſche Entzükkung ſezte. Sie ſollen, ſagte Lotte, indem ſie ihre Verlegenheit unter ein liebes Lächeln ver- barg: Sie ſollen auch beſcheert kriegen, wenn Sie recht geſchikt ſind, ein Wachsſtökgen und noch was. Und was heißen Sie geſchikt ſeyn? rief er aus, wie ſoll ich ſeyn, wie kann ich ſeyn, beſte Lotte? Donnerſtag Abend, ſagte ſie, iſt Weyhnachtsabend, da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt jedes das ſeinige, da kommen Sie auch - aber nicht eher. - Werther ſtuzte! - Ich bitte Sie, fuhr ſie fort, es iſt nun einmal ſo, ich bitte Sie um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann nicht ſo bleiben! - Er wendete ſeine Augen von M 3 ihr, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 182 >>>>>>>>>>>>>>> ihr, gieng in der Stube auf und ab, und mur- melte das: es kann nicht ſo bleiben! zwiſchen den Zähnen. Lotte, die den ſchröklichen Zuſtand fühlte, worinn ihn dieſe Worte verſezt hatten, ſuchte durch allerley Fragen ſeine Gedanken abzulenken, aber vergebens: Nein, Lotte, rief er aus: ich werde Sie nicht wieder ſehn! - Warum das? verſezte ſie, Werther, Sie können, Sie müſſen uns wieder ſehen, nur mäſſigen Sie ſich. O! warum mußten Sie mit dieſer Heftigkeit, dieſer unbezwinglich haf- tenden Leidenſchaft für alles, das Sie einmal an- faſſen, gebohren werden. Ich bitte Sie, fuhr ſie fort, indem ſie ihn bey der Hand nahm, mäſſigen Sie ſich, Ihr Geiſt, Ihre Wiſſenſchaft, Ihre Talente, was bieten die Ihnen für mannigfaltige Ergözzungen dar! ſeyn Sie ein Mann, wenden Sie dieſe traurige Anhänglichkeit von einem Ge- ſchöpfe, das nichts thun kann als Sie bedauren. - Er knirrte mit den Zähnen, und ſah ſie düſter an. Sie hielt ſeine Hand: Nur einen Augenblik ru- higen Sinn, Werther, ſagte ſie. Fühlen Sie nicht, daß Sie ſich betrügen, ſich mit Willen zu Grunde richten? Warum denn mich! Werther! Iuſt ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 183 Iuſt mich! das Eigenthum eines andern. Iuſt das! Ich fürchte, ich fürchte, es iſt nur die Un- möglichkeit mich zu beſizzen, die Ihnen dieſen Wunſch ſo reizend macht. Er zog ſeine Hand aus der ihrigen, indem er ſie mit einem ſtarren un- willigen Blikke anſah. Weiſe! rief er, ſehr weiſe! hat vielleicht Albert dieſe Anmerkung gemacht? Politiſch! ſehr politiſch! - Es kann ſie jeder ma- chen, verſezte ſie drauf. Und ſollte denn in der weiten Welt kein Mädgen ſeyn, das die Wünſche Ihres Herzens erfüllte? Gewinnen Sie's über ſich, ſuchen Sie darnach, und ich ſchwöre Ihnen, Sie werden ſie finden. Denn ſchon lange ängſtet mich für Sie und uns die Einſchränkung, in die Sie ſich dieſe Zeit her ſelbſt gebannt haben. Ge- winnen Sie's über ſich! Eine Reiſe wird Sie, muß Sie zerſtreuen! Suchen Sie, finden Sie einen werthen Gegenſtand all Ihrer Liebe, und kehren Sie zurük, und laſſen Sie uns zuſammen die Seligkeit einer wahren Freundſchaft genießen. Das könnte man, ſagte er mit einem kalten Lachen, drukken laſſen, und allen Hofmeiſtern em- M 4 pfeh- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 184 >>>>>>>>>>>>>>> pfehlen. Liebe Lotte, laſſen Sie mir noch ein klein wenig Ruh, es wird alles werden. - Nur das Werther! daß Sie nicht eher kommen als Weyh- nachtsabend! - Er wollte antworten, und Al- bert trat in die Stube. Man bot ſich einen fro- ſtigen guten Abend, und gieng verlegen im Zim- mer neben einander auf und nieder. Werther fieng einen unbedeutenden Diskurs an, der bald aus war, Albert desgleichen, der ſodann ſeine Frau nach einigen Aufträgen fragte, und als er hörte, ſie ſeyen noch nicht ausgerichtet, ihr ſpizze Reden gab, die Werthern durch's Herz giengen. Er wollte gehn, er konnte nicht und zauderte bis Acht, da ſich denn der Unmuth und Unwillen an einander immer ver- mehrte, bis der Tiſch gedekt wurde und er Huth und Stok nahm, da ihm denn Albert ein unbedeu- tend Kompliment, ob er nicht mit ihnen vorlieb nehmen wollte? mit auf den Weg gab. Er kam nach Hauſe, nahm ſeinem Burſchen, der ihm leuchten wollte, das Licht aus der Hand, und gieng allein in ſein Zimmer, weinte laut, re- dete aufgebracht mit ſich ſelbſt, gieng heftig die Stube ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 185 Stube auf und ab, und warf ſich endlich in ſeinen Kleidern auf's Bette, wo ihn der Bediente fand, der es gegen Eilf wagte hinein zu gehn, um zu fra- gen, ob er dem Herrn die Stiefel ausziehen ſollte, das er denn zuließ und dem Diener verbot, des an- dern Morgens nicht in's Zimmer zu kommen, bis er ihm rufte. Montags früh, den ein und zwanzigſten De- cember, ſchrieb er folgenden Brief an Lotten, den man nach ſeinem Tode verſiegelt auf ſeinem Schreibtiſche gefunden und ihr überbracht hat, und den ich Abſazweiſe hier einrükken will, ſo wie aus den Umſtänden erhellet, daß er ihn geſchrieben habe. * || Es iſt beſchloſſen, Lotte, ich will ſterben, und das ||||| ſchreib ich Dir ohne romantiſche Ueberſpan- nung gelaſſen, an dem Morgen des Tags, an dem ich Dich zum lezten mal ſehn werde. Wenn Du dieſes lieſeſt, meine Beſte, dekt ſchon das kühle Grab die erſtarrten Reſte des Unruhigen, Unglük- M 5 lichen ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 186 >>>>>>>>>>>>>>> lichen, der für die lezten Augenblikke ſeines Lebens keine gröſſere Süſſigkeit weis, als ſich mit Dir zu unterhalten. Ich habe eine ſchrökliche Nacht ge- habt, und ach eine wohlthätige Nacht, ſie iſt's, die meinen wankenden Entſchluß befeſtiget, beſtimmt hat: ich will ſterben. Wie ich mich geſtern von Dir riß, in der fürchterlichen Empörung meiner Sinnen, wie ſich all all das nach meinem Herzen drängte, und mein hoffnungloſes, freudloſes Daſeyn neben Dir, in gräßlicher Kälte mich anpakte; ich erreichte kaum mein Zimmer, ich warf mich auſſer mir auf meine Knie, und o Gott! du gewährteſt mir das lezte Labſal der bitterſten Thränen, und tauſend Anſchläge, tauſend Ausſichten wütheten durch meine Seele, und zuletzt ſtand er da, feſt ganz der lezte einzige Gedanke: Ich will ſterben! - Ich legte mich nieder, und Morgens, in all der Ruh des Erwachens, ſteht er noch feſt, noch ganz ſtark in meinem Herzen: Ich will ſterben! - Es iſt nicht Verzweiflung, es iſt Gewißheit, daß ich ausgetragen habe, und daß ich mich opfere für Dich, ja Lotte, warum ſollt ich's verſchweigen: eins von uns dreyen muß hinweg, und das will ich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 187 ich ſeyn. O meine Beſte, in dieſem zerriſſenen Herzen iſt es wüthend herum geſchlichen, oft - Deinen Mann zu ermorden! - Dich! - mich! - So ſey's denn! - Wenn du hinauf ſteigſt auf den Berg, an einem ſchönen Sommerabende, dann erinnere Dich meiner, wie ich ſo oft das Thal herauf kam, und dann blikke nach dem Kirchhofe hinüber nach meinem Grabe, wie der Wind das hohe Gras im Schein der ſinkenden Sonne, hin und her wiegt. - Ich war ruhig da ich anfieng, und nun wein ich wie ein Kind, da mir all das ſo lebhaft um mich wird. - ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Gegen zehn Uhr rufte Werther ſeinem Be- dienten, und unter dem Anziehen ſagte er ihm: wie er in einigen Tagen verreiſen würde, er ſolle daher die Kleider auskehren, und alles zum Ein- pakken zurechte machen, auch gab er ihm Befehl, überall Contis zu fordern, einige ausgeliehene Bü- cher abzuholen, und einigen Armen, denen er wö- chentlich etwas zu geben gewohnt war, ihr Zuge- theiltes auf zwey Monathe voraus zu bezahlen. Er ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 188 >>>>>>>>>>>>>>> Er ließ ſich das Eſſen auf die Stube bringen, und nach Tiſche ritt er hinaus zum Amtmanne, den er nicht zu Hauſe antraf. Er gieng tiefſinnig im Garten auf und ab, und ſchien noch zulezt alle Schwermuth der Erinnerung auf ſich häufen zu wollen. Die Kleinen ließen ihn nicht lange in Ruhe, ſie verfolgten ihn, ſprangen an ihn hinauf, er- zählten ihm: daß, wenn Morgen und wieder Morgen, und noch ein Tag wäre, daß ſie die Chriſtgeſchenke bey Lotten holten, und erzählten ihm Wunder, die ſich ihre kleine Einbildungskraft verſprach. Morgen! rief er aus, und wieder Morgen, und noch ein Tag! Und küßte ſie alle herzlich, und wollte ſie verlaſſen, als ihm der kleine noch was in's Ohr ſagen wollte. Der verrieth ihm, daß die großen Brüder hätten ſchöne Neu- jahrswünſche geſchrieben, ſo gros, und einen für den Papa, für Albert und Lotte einen, und auch einen für Herrn Werther. Die wollten ſie des Neujahrstags früh überreichen. Das ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 189 Das übermannte ihn, er ſchenkte jedem was, ſezte ſich zu Pferde, ließ den Alten grüßen, und ritt mit Thränen in den Augen davon. Gegen fünfe kam er nach Hauſe, befahl der Magd nach dem Feuer zu ſehen, und es bis in die Nacht zu unterhalten. Dem Bedienten hieß er Bücher und Wäſche unten in den Coffer pakken, und die Kleider einnähen. Darauf ſchrieb er wahrſcheinlich folgenden Abſaz ſeines lezten Briefes an Lotten. * Du erwarteſt mich nicht. Du glaubſt, ich wür- de gehorchen, und erſt Weyhnachtsabend Dich wie- der ſehn. O Lotte! Heut oder nie mehr. Weyh- nachtsabend hältſt Du dieſes Papier in Deiner Hand, zitterſt und benezt es mit Deinen lieben Thränen. Ich will, ich muß! O wie wohl iſt mir's, daß ich entſchloſſen bin. ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Um ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 190 >>>>>>>>>>>>>>> Um halb ſieben gieng er nach Albertens Hauſe, und fand Lotten allein, die über ſeinen Beſuch ſehr erſchrokken war. Sie hatte ihrem Manne im Diskurs geſagt, daß Werther vor Weyhnachts- abend nicht wiederkommen würde. Er ließ bald darauf ſein Pferd ſatteln, nahm von ihr Abſchied und ſagte, er wolle zu einem Beamten in der Nach- barſchaft reiten, mit dem er Geſchäfte abzuthun habe, und ſo machte er ſich truz der übeln Witte- rung fort. Lotte, die wohl wußte, daß er dieſes Geſchäft ſchon lange verſchoben hatte, daß es ihn eine Nacht von Hauſe halten würde, verſtund die Pantomime nur allzu wohl und ward herzlich be- trübt darüber. Sie ſaß in ihrer Einſamkeit, ihr Herz ward weich, ſie ſah das Vergangene, fühlte all ihren Werth, und ihre Liebe zu ihrem Manne, der nun ſtatt des verſprochenen Glüks anfieng das Elend ihres Lebens zu machen. Ihre Gedanken fielen auf Werthern. Sie ſchalt ihn, und konnte ihn nicht haſſen. Ein geheimer Zug hatte ihr ihn vom Anfange ihrer Bekanntſchaft theuer gemacht, und nun, nach ſo viel Zeit, nach ſo manchen durchlebten Situationen, mußte ſein Ein- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 191 Eindruk unauslöſchlich in ihrem Herzen ſeyn. Ihr gepreßtes Herz machte ſich endlich in Thränen Luft und gieng in eine ſtille Melancholie über, in der ſie ſich je länger je tiefer verlohr. Aber wie ſchlug ihr Herz, als ſie Werthern die Treppe herauf kom- men und außen nach ihr fragen hörte. Es war zu ſpät, ſich verläugnen zu laſſen, und ſie konnte ſich nur halb von ihrer Verwirrung ermannen, als er ins Zimmer trat. Sie haben nicht Wort gehalten! rief ſie ihm entgegen. Ich habe nichts verſprochen, war ſeine Antwort. So hätten Sie mir wenig- ſtens meine Bitte gewähren ſollen, ſagte ſie, es war Bitte um unſerer beyder Ruhe willen. In- dem ſie das ſprach, hatte ſie bey ſich überlegt, ei- nige ihrer Freundinnen zu ſich rufen zu laſſen. Sie ſollten Zeugen ihrer Unterredung mit Werthern ſeyn, und Abends, weil er ſie nach Hauſe führen mußte, ward ſie ihn zur rechten Zeit los. Er hatte ihr einige Bücher zurük gebracht, ſie fragte nach einigen andern, und ſuchte das Geſpräch in Er- wartung ihrer Freundinnen, allgemein zu erhalten, als das Mädgen zurük kam und ihr hinterbrachte, wie ſie ſich beyde entſchuldigen ließen, die eine habe unan- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 192 >>>>>>>>>>>>>>> unangenehmen Verwandtenbeſuch, und die andere möchte ſich nicht anziehen, und in dem ſchmuzigen Wetter nicht gerne ausgehen. Darüber ward ſie einige Minuten nachdenkend, bis das Gefühl ihrer Unſchuld ſich mit einigem Stolze empörte. Sie bot Albertens Grillen Truz, und die Reinheit ihres Herzens gab ihr eine Feſtig- keit, daß ſie nicht, wie ſie anfangs vorhatte, ihr Mädgen in die Stube rief, ſondern, nachdem ſie einige Menuets auf dem Clavier geſpielt hatte, um ſich zu erholen, und die Verwirrung ihres Her- zens zu ſtillen, ſich gelaſſen zu Werthern auf's Canapee ſezte. Haben Sie nichts zu leſen, ſagte ſie. Er hatte nichts. Da drinne in meiner Schublade, fieng ſie an, liegt ihre Ueberſezzung einiger Geſänge Oſſians, ich habe ſie noch nicht geleſen, denn ich hoffte immer, ſie von Ihnen zu hören, aber zeither ſind Sie zu nichts mehr taug- lich. Er lächelte, holte die Lieder, ein Schauer überfiel ihn, als er ſie in die Hand nahm, und die Augen ſtunden ihm voll Thränen, als er hin- ein ſah, er ſezte ſich nieder und las: Stern ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 193 Stern der dämmernden Nacht, ſchön funkelſt du in Weſten. Hebſt dein ſtrahlend Haupt aus deiner Wolke. Wandelſt ſtattlich deinen Hügel hin. Wornach blikſt du auf die Haide? Die ſtürmende Winde haben ſich gelegt. Von ferne kommt des Gießbachs Murmeln. Rauſchende Wel- len ſpielen am Felſen ferne. Das Geſumme der Abendfliegen ſchwärmet über's Feld. Wornach ſiehſt du, ſchönes Licht? Aber du lächelſt und gehſt, freudig umgeben dich die Wellen und baden dein liebliches Haar. Lebe wohl ruhiger Strahl. Er- ſcheine du herrliches Licht von Oſſians Seele. Und es erſcheint in ſeiner Kraft. Ich ſehe meine geſchiedene Freunde, ſie ſammeln ſich auf Lora, wie in den Tagen, die vorüber ſind. - Fingal kommt wie eine feuchte Nebelſäule; um ihn ſind ſeine Helden. Und ſieh die Barden des Geſangs! grauer Ullin! ſtatlicher Ryno! Alpin lieblicher Sänger! Und du ſanft klagende Mino- na! - Wie verändert ſeyd ihr meine Freunde ſeit den feſtlichen Tagen auf Selma! da wir buhl- ten um die Ehre des Geſangs, wie Frühlingslüf- N te ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 194 >>>>>>>>>>>>>>> te den Hügel hin wechſelnd beugen das ſchwach lispelnde Gras. Da trat Minona hervor in ihrer Schönheit, mit niedergeſchlagenem Blik und thränenvollem Au- ge. Ihr Haar floß ſchwer im unſteten Winde der von dem Hügel herſties. - Düſter wards in der Seele der Helden als ſie die liebliche Stim- me erhub; denn oft hatten ſie das Grab Sal- gars geſehen, oft die finſtere Wohnung der weiſſen Colma. Colma verlaſſen auf dem Hügel, mit all der harmoniſchen Stimme. Salmar verſprach zu kommen; aber rings um zog ſich die Nacht. Hö- ret Colmas Stimme, da ſie auf dem Hügel allein ſaß. C o l m a. Es iſt Nacht; - ich bin allein, verlohren auf dem ſtürmiſchen Hügel. Der Wind ſauſt im Gebürg, der Strohm heult den Felſen hinab. Kei- ne Hütte ſchüzt mich vor dem Regen, verlaſſen auf dem ſtürmiſchen Hügel. Tritt, o Mond, aus deinen Wolken; erſchei- net Sterne der Nacht! Leite mich irgend ein Strahl zu dem Orte wo meine Liebe ruht von den Be- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 195 Beſchwerden der Iagd, ſein Bogen neben ihm ab- geſpannt, ſeine Hunde ſchnobend um ihn! Aber hier muß ich ſizzen allein auf dem Felſen des verwachſenen Strohms. Der Strohm und der Sturm ſauſt, ich höre nicht die Stimme meines Geliebten. Warum zaudert mein Salgar? Hat er ſein Wort vergeſſen? - Da iſt der Fels und der Baum und hier der rauſchende Strohm. Mit der Nacht verſprachſt du hier zu ſeyn. Ach! wo- hin hat ſich mein Salgar verirrt? Mit dir wollt ich fliehen, verlaſſen Vater und Bruder! die Stol- zen! Lange ſind unſere Geſchlechter Feinde, aber wir ſind keine Feinde, o Salgar. Schweig eine Weile o Wind, ſtill eine klei- ne Weile o Strohm, daß meine Stimme klinge durch's Thal, daß mein Wandrer mich höre. Sal- gar! Ich bin's, die ruft. . Hier iſt der Baum und der Fels. Salgar, mein Lieber, hier bin ich. Warum zauderſt du zu kommen? Sieh, der Mond erſcheint. Die Fluth glänzt im Thale. Die Felſen ſtehn grau den Hügel hin- auf. Aber ich ſeh ihn nicht auf der Höhe. Sei- N 2 ne ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 196 <<<<<<<<<<<<<<< ne Hunde vor ihm her verkündigen nicht ſeine An- kunft. Hier muß ich ſizzen allein. Aber wer ſind die dort unten liegen auf der Haide - Mein Geliebter? Mein Bruder? - Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht. Wie geängſtet iſt meine Seele - Ach ſie ſind todt! - Ihre Schwerdte roth vom Gefecht: O mein Bruder, mein Bruder, warum haſt du mei- nen Salgar erſchlagen? O mein Salgar, warum haſt du meinen Bruder erſchlagen? - Ihr wart mir beyde ſo lieb! O du warſt ſchön an dem Hügel unter Tauſenden; er war ſchröklich in der Schlacht. Antwortet mir! Hört meine Stimme, meine Geliebten. Aber ach ſie ſind ſtumm. Stumm vor ewig. Kalt wie die Erde iſt ihr Buſen. O von dem Felſen des Hügels, von dem Gipfel des ſtürmenden Berges, redet Geiſter der Todten! Redet! mir ſoll es nicht grauſen! - Wohin ſeyd ihr zur Ruhe gegangen? In wel- cher Gruft des Gebürges ſoll ich euch finden! - Keine ſchwache Stimme vernehm ich im Wind, keine wehende Antwort im Sturme des Hügels. Ich ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 197 Ich ſizze in meinem Iammer, ich harre auf den Morgen in meinen Thränen. Wühlet das Grab, ihr Freunde der Todten, aber ſchließt es nicht, bis ich komme. Mein Leben ſchwindet wie ein Traum, wie ſollt ich zurük bleiben. Hier will ich wohnen mit meinen Freunden an dem Strohme des klingenden Felſen - Wenns Nacht wird auf dem Hügel, und der Wind kommt über die Haide, ſoll mein Geiſt im Winde ſtehn und trauren den Tod meiner Freunde. Der Iäger hört mich aus ſei- ner Laube, fürchtet meine Stimme und liebt ſie, denn ſüß ſoll meine Stimme ſeyn um meine Freun- de, ſie waren mir beyde ſo lieb. Das war dein Geſang, o Minona, Tormans ſanfte erröthende Tochter. Unſere Thränen floſſen um Colma, und unſere Seele ward düſter - Ul- lin trat auf mit der Harfe und gab uns Alpins Geſang - Alpins Stimme war freundlich, Rynos Seele ein Feuerſtrahl. Aber ſchon ruhten ſie im engen Hauſe, und ihre Stimme war verhallet in Selma - Einſt kehrt Ullin von der Iagd zurük, eh noch die Helden fielen, er hörte ihren Wette- geſang auf dem Hügel, ihr Lied war ſanft, aber N 3 traurig, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 198 >>>>>>>>>>>>>>> traurig, ſie klagten Morars Fall, des erſten der Helden. Seine Seele war wie Fingals Seele; ſein Schwerdt wie das Schwerdt Oſkars - Aber er fiel und ſein Vater jammerte und ſeiner Schwe- ſter Augen waren voll Thränen - Minonas Au- gen waren voll Thränen, der Schweſter des herr- lichen Morars. Sie trat zurük vor Ullins Ge- ſang, wie der Mond in Weſten, der den Sturm- regen vorausſieht und ſein ſchönes Haupt in eine Wolke verbirgt. - Ich ſchlug die Harfe mit Ul- lin zum Geſange des Iammers. R y n o. Vorbey ſind Wind und Regen, der Mittag iſt ſo heiter, die Wolken theilen ſich. Fliehend be- ſcheint den Hügel die unbeſtändge Sonne. So röthlich fließt der Strohm des Bergs im Thale hin. Süß iſt dein Murmeln Strohm, doch ſüſſer die Stimme, die ich höre. Es iſt Alpin's Stimme, er bejammert den Todten. Sein Haupt iſt vor Alter gebeugt, und roth ſein thränendes Auge. Al- pin treflicher Sänger, warum allein auf dem ſchwei- genden Hügel, warum jammerſt du wie ein Wind- ſtos im Wald, wie eine Welle am fernen Geſtade. Alpin. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 199 A l p i n. Meine Thränen Ryno, ſind für den Tod- ten, meine Stimme für die Bewohner des Grabs. Schlank biſt du auf dem Hügel, ſchön unter den Söhnen der Haide. Aber du wirſt fallen wie Morar, und wird der traurende ſizzen auf deinem Grabe. Die Hügel werden dich vergeſſen, dein Bogen in der Halle liegen ungeſpannt. Du warſt ſchnell o Morar, wie ein Reh auf dem Hügel, ſchreklich wie die Nachtfeuer am Him- mel, dein Grimm war ein Sturm. Dein Schwerdt in der Schlacht wie Wetterleuchten ürer der Hai- de. Deine Stimme glich dem Waldſtrohme nach dem Regen, dem Donner auf fernen Hügel. Man- che fielen von deinem Arm, die Flamme deines Grimms verzehrte ſie. Aber wenn du kehrteſt vom Kriege, wie friedlich war deine Stimme! Dein Angeſicht war gleich der Sonne nach dem Gewitter, gleich dem Monde in der ſchweigenden Nacht. Ruhig deine Bruſt wie der See, wenn ſich das Brauſen des Windes gelegt hat. Eng iſt nun deine Wohnung, finſter deine Stäte. Mit drey Schritten meß ich dein Grab, N 4 o ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 200 >>>>>>>>>>>>>>> o du, der du ehe ſo gros warſt! Vier Steine mit moſigen Häuptern ſind dein einzig Gedächt- niß. Ein entblätterter Baum, lang Gras, das wiſpelt im Winde, deutet dem Auge des Iägers das Grab des mächtigen Morars. Keine Mut- ter haſt du, dich zu beweinen, kein Mädgen mit Thränen der Liebe. Todt iſt, die dich gebahr. Gefallen die Tochter von Morglan. Wer auf ſeinem Stabe iſt das? Wer iſt's, deſſen Haupt weis iſt vor Alter, deſſen Augen roth ſind von Thränen? - Es iſt dein Vater, o Morar! Der Vater keines Sohns auſſer dir! Er hörte von deinem Rufe in der Schlacht; er hörte von zerſtobenen Feinden. Er hörte Mo- rars Ruhm! Ach nichts von ſeiner Wunde? Weine, Vater Morars! Weine! aber dein Sohn hört dich nicht. Tief iſt der Schlaf der Todten, niedrig ihr Küſſen von Staub. Nimmer achtet er auf die Stimme, nie erwacht er auf deinen Ruf. O wann wird es Morgen im Grabe? zu bieten dem Schlummerer: Erwache! Lebe wohl, edelſter der Menſchen, du Eroberer im Felde! Aber nimmer wird dich das Feld ſehn, nimmer ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 201 nimmer der düſtere Wald leuchten vom Glanze dei- nes Stahls. Du hinterlieſeſt keinen Sohn, aber der Geſang ſoll deinen Nahmen erhalten. Künf- tige Zeiten ſollen von dir hören, hören ſollen ſie von dem gefallenen Morar. Laut ward die Trauer der Helden, am laut- ſten Armins berſtender Seufzer. Ihn erinnert's an den Todt ſeines Sohns, der fiel in den Ta- gen ſeiner Iugend. Carmor ſas nah bey dem Helden, der Fürſt des hallenden Galmal. Warum ſchluchſet der Seufzer Armins? ſprach er, was iſt hier zu weinen? Klingt nicht Lied und Ge- ſang, die Seele zu ſchmelzen und zu ergözzen. Sind wie ſanfter Nebel der ſteigend vom See auf's Thal ſprüht, und die blühenden Blumen fül- let das Naß, aber die Sonne kommt wieder in ihrer Kraft und der Nebel iſt gangen. Warum biſt du ſo jammervoll, Armin, Herr des ſeeumfloſ- ſenen Gorma? Iammervoll! Wohl das bin ich, und nicht gering die Urſach meines Wehs. - Carmor, du verlohrſt keinen Sohn; verlohrſt keine blühende Tochter! Colgar der Tapfere lebt; und Amira, N 5 die ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 202 <<<<<<<<<<<<<<< die ſchönſte der Mädgen. Die Zweige deines Hau- ſes blühen, o Carmor, aber Armin iſt der lezte ſeines Stamms. Finſter iſt dein Bett, o Dau- ra! Dumpf iſt dein Schlaf in dem Grabe - Wann erwachſt du mit deinen Geſängen, mit dei- ner melodiſchen Stimme? Auf! ihr Winde des Herbſt, auf! Stürmt über die finſtre Haide! Waldſtröhme brauſt! Heult Stürme in dem Gip- fel der Eichen! Wandle durch gebrochene Wol- ken, o Mond, zeige wechſelnd dein bleiches Ge- ſicht! Erinnere mich der ſchröklichen Nacht, da meine Kinder umkamen, Arindal der mächtige fiel, Daura, die liebe, vergieng. Daura, meine Tochter, du warſt ſchön! ſchön wie der Mond auf den Hügeln von Fura, weiß wie der gefallene Schnee, ſüß wie die athmende Luft. Arindal, dein Bogen war ſtark, dein Speer ſchnell auf dem Felde, dein Blik wie Nebel auf der Welle, dein Schild eine Feuerwolke im Sturme. Armar berühmt im Krieg, kam und warb um Dau- ras Liebe, ſie widerſtund nicht lange, ſchön waren die Hoffnungen ihrer Freunde. Erath ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 203 Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn ſein Bruder lag erſchlagen von Armar. Er kam in einen Schiffer verkleidet, ſchön war ſein Nachen auf der Welle; weiß ſeine Lokken vor Alter, ru- hig ſein ernſtes Geſicht. Schönſte der Mädgen, ſagt er, liebliche Tochter von Armin. Dort am Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht vom Baume herblinkt, dort wartet Armar auf Daura. Ich komme, ſeine Liebe zu führen über die rollende See. Sie folgt ihm, und rief nach Armar. Nichts antwortete als die Stimme des Felſens. Armar mein Lieber, mein Lieber, warum ängſteſt du mich ſo? Höre, Sohn Arnarts, höre. Daura iſt's, die dich ruft! Erath, der Verräter, floh lachend zum Lande. Sie erhub ihre Stimme, rief nach ihrem Vater und Bruder. Arindal! Armin! Iſt keiner, ſeine Dau- ra zu retten? Ihre Stimme kam über die See. Arindal mein Sohn, ſtieg vom Hügel herab rauh in der Beute der Iagd. Seine Pfeile raſſelten an ſeiner Seite. Seinen Bogen trug er in der Hand. Fünf ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 204 <<<<<<<<<<<<<<< Fünf ſchwarzgraue Dokken waren um ihn. Er ſah den kühnen Erath am Ufer, faßt und band ihn an die Eiche. Feſt umflocht er ſeine Hüften, er füllt mit Aechzen die Winde. Arindal betritt die Welle in ſeinem Boote, Daura herüber zu bringen. Armar kam in ſei- nem Grimm, drükt ab den grau befiederten Pfeil, er klang, er ſank in dein Herz, o Arindal, mein Sohn! Statt Erath des Verräthers kamſt du um, das Boot erreicht den Felſen, er ſank dran nieder und ſtarb. Welch war dein Iammer, o Daura, da zu deinen Füſſen floß deines Bruders Blut. Die Wellen zerſchmettern das Boot. Armar ſtürzt ſich in die See, ſeine Daura zu retten oder zu ſterben. Schnell ſtürmt ein Stos vom Hügel in die Wellen, er ſank und hub ſich nicht wieder. Allein auf dem ſeebeſpülten Felſen hört ich die Klage meiner Tochter. Viel und laut war ihr Schreyen; doch konnt ſie ihr Vater nicht retten. Die ganze Nacht ſtund ich am Ufer, ich ſah ſie im ſchwachen Strahle des Monds, die gan- ze Nacht hört ich ihr Schreyn. Laut war der Wind, und der Regen ſchlug ſcharf nach der Sei- te ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 205 te des Bergs. Ihre Stimme ward ſchwach, eh der Morgen erſchien, ſie ſtarb weg wie die Abend- luft zwiſchen dem Graſe der Felſen. Beladen mit Iammer ſtarb ſie und ließ Armin allein! dahin iſt meine Stärke im Krieg, gefallen mein Stolz unter den Mädgen. Wenn die Stürme des Berges kommen, wenn der Nord die Wellen hoch hebt, ſiz ich am ſchal- lenden Ufer, ſchaue nach dem ſchröklichen Felſen. Oft im ſinkenden Mond ſeh ich die Geiſter meiner Kindheit, halb dämmernd, wandeln ſie zuſammen in trauriger Eintracht Ein Strohm von Thränen, der aus Lottens Augen brach und ihrem gepreßten Herzen Luft machte, hemmte Werthers Geſang, er warf das Papier hin, und faßte ihre Hand und weinte die bitterſten Thränen. Lotte ruhte auf der andern und verbarg ihre Augen in's Schnupftuch, die Bewegung beyder war fürchterlich. Sie fühlten ihr eigenes Elend in dem Schikſal der Edlen, fühlten es zuſammen, und ihre Thränen vereinig- ten ſie. Die Lippen und Augen Werthers glühten an Lottens Arme, ein Schauer überfiel ſie, ſie woll- te ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 206 <<<<<<<<<<<<<<< te ſich entfernen und es lag all der Schmerz, der Antheil betäubend wie Bley auf ihr. Sie athmete ſich zu erholen, und bat ihn ſchluchſend, fortzu- fahren, bat mit der ganzen Stimme des Himmels, Werther zitterte, ſein Herz wollte berſten, er hub das Blatt auf und las halb gebrochen: Warum wekſt du mich Frühlingsluft, du buhlſt und ſprichſt: ich bethaue mit Tropfen des Himmels. Aber die Zeit meines Welkens iſt nah, nah der Sturm, der meine Blätter herabſtört! Morgen wird der Wandrer kommen, kommen, der mich ſah in meiner Schönheit, rings wird ſein Aug im Felde mich ſuchen, und wird mich nicht finden. - Die ganze Gewalt dieſer Worte fiel über den Unglüklichen, er warf ſich vor Lotten nieder in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Hände, drukte ſie in ſeine Augen, wider ſeine Stirn, und ihr ſchien eine Ahndung ſeines ſchröklichen Vor- habens durch die Seele zu fliegen: Ihre Sinnen verwirrten ſich, ſie drukte ſeine Hände, drukte ſie wider ihre Bruſt, neigte ſich mit einer wehmüthi- gen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden Wan- gen ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 207 gen berührten ſich. Die Welt vergieng ihnen, er ſchlang ſeine Arme um ſie her, preßte ſie an ſei- ne Bruſt, und dekte ihre zitternde ſtammelnde Lip- pen mit wüthenden Küſſen. Werther! rief ſie mit erſtikter Stimme ſich abwendend, Werther! und drükte mit ſchwacher Hand ſeine Bruſt von der ihrigen! Werther! rief ſie mit dem gefaßten Tone des edelſten Gefühls; er widerſtund nicht, lies ſie aus ſeinen Armen, und warf ſich unſin- nig vor ſie hin. Sie riß ſich auf, und in ängſt- licher Verwirrung, bebend zwiſchen Liebe und Zorn ſagte ſie: Das iſt das leztemal! Werther! Sie ſehn mich nicht wieder. Und mit dem vollſten Blik der Liebe auf den Elenden eilte ſie in's Ne- benzimmer, und ſchloß hinter ſich zu. Werther ſtrekte ihr die Arme nach, getraute ſich nicht ſie zu halten. Er lag an der Erde, den Kopf auf dem Canapee, und in dieſer Stellung blieb er über ei- ne halbe Stunde, biß ihn ein Geräuſch zu ſich ſelbſt rief. Es war das Mädgen, das den Tiſch dekken wollte. Er gieng im Zimmer auf und ab, und da er ſich wieder allein ſah, gieng er zur Thüre des Cabinets, und rief mit leiſer Stimme, Lotte! ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 208 >>>>>>>>>>>>>>> Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! - Sie ſchwieg, er harrte - und bat - und harr- te, dann riß er ſich weg und rief: Leb wohl, Lotte! auf ewig leb wohl! Er kam ans Stadtthor. Die Wächter, die ihn ſchon gewohnt waren, ließen ihn ſtillſchweigend hinaus, es ſtübte zwiſchen Regen und Schnee, und erſt gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Die- ner bemerkte, als Werther nach Hauſe kam, daß ſei- nem Herrn der Huth fehlte. Er getraute ſich nichts zu ſagen, entkleidete ihn, alles war naß. Man hat nachher den Huth auf einem Felſen, der an dem Abhange des Hügels in's Thal ſieht ge- funden, und es iſt unbegreiflich, wie er ihn in einer finſtern feuchten Nacht ohne zu ſtürzen erſtiegen hat. Er legte ſich zu Bette und ſchlief lange. Der Bediente fand ihn ſchreiben, als er ihm den andern Morgen auf ſein Rufen den Caffee brach- te. Er ſchrieb folgendes am Briefe an Lotten: Zum ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 209 * Zum leztenmale denn, zum leztenmale ſchlag ich dieſe Augen auf, ſie ſollen ach die Sonne nicht mehr ſehen, ein trüber neblichter Tag hält ſie bedekt. So traure denn, Natur, dein Sohn, dein Freund, dein Geliebter naht ſich ſeinem Ende. Lotte, das iſt ein Gefühl ohne gleichen, und doch kommt's dem dämmernden Traume am nächſten, zu ſich zu ſagen: das iſt der lezte Morgen. Der lezte! Lotte, ich habe keinen Sinn vor das Wort, der lezte! Steh ich nicht da in meiner ganzen Kraft, und Morgen lieg ich ausgeſtrekt und ſchlaff am Boden. Ster- ben! Was heiſt das? Sieh wir träumen, wenn wir vom Tode reden. Ich hab manchen ſterben ſe- hen, aber ſo eingeſchränkt iſt die Menſchheit, daß ſie für ihres Daſeyns Anfang und Ende keinen Sinn hat. Iezt noch mein, dein! dein! o Geliebte, und einen Augenblick - getrennt, geſchieden - vielleicht auf ewig. - Nein, Lotte, nein - Wie kann ich vergehen, wie kannſt du vergehen, wir ſind ja! - Vergehen! - Was heißt das? das iſt wieder ein Wort! ein leerer Schall ohne Ge- fühl für mein Herz. - - Todt, Lotte! Ein- O ge- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 210 <<<<<<<<<<<<<<< geſcharrt der kalten Erde, ſo eng, ſo finſter! - Ich hatte eine Freundin, die mein Alles war mei- ner hülfloſen Iugend, ſie ſtarb und ich folgte ih- rer Leiche, und ſtand an dem Grabe. Wie ſie den Sarg hinunter ließen und die Seile ſchnurrend unter ihm weg und wieder herauf ſchnellten, dann die erſte Schaufel hinunter ſchollerte und die ängſt- liche Lade einen dumpfen Ton wiedergab, und dump- fer und immer dumpfer und endlich bedecktwar! - Ich ſtürzte neben das Grab hin - Ergriffen erſchüt- tert geängſtet zerriſſen mein innerſtes, aber ich wuſte nicht wie mir geſchah, - wie mir geſchehen wird - Sterben! Grab! Ich verſtehe die Worte nicht! O vergieb mir! vergieb mir! Geſtern! Es hät- te der lezte Augenblik meines Lebens ſeyn ſollen. O du Engel! zum erſtenmale, zum erſtenmale ganz ohne Zweifel durch mein innig innerſtes durchglühte mich das Wonnegefühl: Sie liebt mich! Sie liebt mich. Es brennt noch auf meinen Lippen das heilige Feuer das von den deinigen ſtröhmte, neue warme Wonne iſt in meinem Herzen. Vergieb mir, vergieb mir. Ach ich wuſte, daß du mich liebteſt, wuſte es an den erſten ſeelenvollen Blikken, an dem erſten Hän- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 211 Händedruk, und doch wenn ich wieder weg war, wenn ich Alberten an deiner Seite ſah, verzagt' ich wieder in fieberhaften Zweifeln. Erinnerſt du dich der Blumen, die du mir ſchik- teſt, als du in jener fatalen Geſellſchaft mir kein Wort ſagen, keine Hand reichen konnteſt, o ich habe die halbe Nacht davor gekniet, und ſie ver- ſiegelten mir deine Liebe. Aber ach! dieſe Ein- drükke giengen vorüber, wie das Gefühl der Gna- de ſeines Gottes allmählig wieder aus der See- le des Gläubigen weicht, die ihm mit ganzer Himmelsfülle im heiligen ſichtbaren Zeichen ge- reicht ward. Alles das iſt vergänglich, keine Ewigkeit ſoll das glühende Leben auslöſchen, das ich geſtern auf deinen Lippen genoß, das ich in mir fühle. Sie liebt mich! Dieſer Arm hat ſie umfaſt, dieſe Lip- pen auf ihren Lippen gezittert, dieſer Mund am ihrigen geſtammelt. Sie iſt mein! du biſt mein! ja Lotte auf ewig! Und was iſt das? daß Albert dein Mann iſt! Mann? - das wäre denn für dieſe Welt - und für dieſeWelt Sünde, daß ich dich liebe, das ich dich aus ſei- nen Armen in die meinigen reißen möchte? Sünde? O 2 Gut ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 212 <<<<<<<<<<<<<<< Gut! und ich ſtrafe mich davor: Ich hab ſie in ihrer ganzen Himmelswonne geſchmekt dieſe Sün- de, habe Lebensbalſam und Kraft in mein Herz geſaugt, du biſt von dem Augenblikke mein! Mein, o Lotte. Ich gehe voran! Geh zu meinem Va- ter, zu deinem Vater, dem will ich's klagen und er wird mich tröſten biß du kommſt, und ich fliege dir entgegen und faſſe dich und bleibe bey dir vor dem Angeſichte des Unendlichen in ewigen Um- armungen. Ich träume nicht, ich wähne nicht! nah am Grabe ward mir's heller. Wir werden ſeyn, wir werden uns wieder ſehn! Deine Mutter ſehn! ich werde ſie ſehen, werde ſie finden, ach und vor ihr all mein Herz ausſchütten. Deine Mutter. Dein Ebenbild. ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Gegen eilfe fragte Werther ſeinen Bedienten, ob wohl Albert zurük gekommen ſey. Der Be- diente ſagte: ja, er habe deſſen Pferd dahin füh- ren ſehn. Drauf giebt ihm der Herr ein offenes Zettelgen des Inhalts: Wollten ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 213 * || Wollten Sie mir wohl zu einer vorhabenden ||||| Reiſe ihre Piſtolen leihen? Leben Sie recht wohl. ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Die liebe Frau hatte die lezte Nacht wenig ge- ſchlafen, ihr Blut war in einer fieberhaften Em- pörung, und tauſenderley Empfindungen zerrütte- ten ihr Herz. Wider ihren Willen fühlte ſie tief in ihrer Bruſt das Feuer von Werthers Umar- mungen, und zugleich ſtellten ſich ihr die Tage ih- rer unbefangenen Unſchuld, des ſorgloſen Zutrauens auf ſich ſelbſt in doppelter Schöne dar, es äng- ſtigten ſie ſchon zum voraus die Blikke ihres Manns, und ſeine halb verdrüßlich halb ſpöttiſche Fragen, wenn er Werthers Beſuch erfahren wür- de; ſie hatte ſich nie verſtellt, ſie hatte nie gelogen, und nun ſah ſie ſich zum erſtenmal in der unvermeid- lichen Nothwendigkeit; der Widerwillen, die Verle- genheit die ſie dabey empfand, machte die Schuld in ihren Augen gröſſer, und doch konnte ſie den Urheber davon weder haſſen, noch ſich verſprechen, ihn nie wieder zu ſehn. Sie weinte bis gegen Morgen, da ſie in einen matten Schlaf verſank, O 3 aus ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 214 <<<<<<<<<<<<<<< aus dem ſie ſich kaum aufgeraft und angekleidet hatte, als ihr Mann zurükkam, deſſen Gegenwart ihr zum erſtenmal ganz unerträglich war; denn indem ſie zitterte, er würde das verweinte über- wachte ihrer Augen und ihrer Geſtalt entdekken, ward ſie noch verwirrter, bewillkommte ihn mit einer heftigen Umarmung, die mehr Beſtürzung und Reue, als eine auffahrende Freude ausdrük- te, und eben dadurch machte ſie die Aufmerkſam- keit Albertens rege, der, nachdem er einige Briefe und Pakets erbrochen, ſie ganz trokken fragte, ob ſonſt nichts vorgefallen, ob niemand da geweſen wäre? Sie antwortete ihm ſtokkend, Werther ſeye geſtern eine Stunde gekommen. - Er nimmt ſeine Zeit gut, verſezt er, und gieng nach ſeinem Zimmer. Lotte war eine Viertelſtunde allein geblieben. Die Gegenwart des Mannes, den ſie liebte und ehrte, hatte einen neuen Eindruk in ihr Herz gemacht. Sie erinnerte ſich all ſeiner Gü- te, ſeines Edelmuths ſeiner Liebe, und ſchalt ſich, daß ſie es ihm ſo übel gelohnt habe. Ein unbe- kannter Zug reizte ſie ihm zu folgen, ſie nahm ihre Arbeit, wie ſie mehr gethan hatte, gieng nach ſeinem Zimmer und fragte, ob er was bedürfte? er ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 215 er antwortete: nein! ſtellte ſich an Pult, zu ſchrei- ben, und ſie ſezte ſich nieder zu ſtrikken. Eine Stunde waren ſie auf dieſe Weiſe neben einan- der, und als Albert etlichemal in der Stube auf und ab ging, und Lotte ihn anredete, er aber we- nig oder nichts drauf gab und ſich wieder ans Pult ſtellte, ſo verfiel ſie in eine Wehmuth, die ihr um deſto ängſtlicher ward, als ſie ſolche zu verbergen und ihre Thränen zu verſchlukken ſuchte. Die Erſcheinung von Werthers Knaben ver- ſezte ſie in die gröſte Verlegenheit, er überreichte Alberten das Zettelgen, der ſich ganz kalt nach ſeiner Frau wendete, und ſagte: gieb ihm die Pi- ſtolen. - Ich laß ihm glükliche Reiſe wünſchen, ſagt er zum Iungen. Das fiel auf ſie wie ein Donnerſchlag. Sie ſchwankte aufzuſtehn. Sie wußte nicht wie ihr geſchah. Langſam ging ſie nach der Wand, zitternd nahm ſie ſie herunter, puzte den Staub ab und zauderte, und hätte noch lang gezögert, wenn nicht Albert durch einen fra- genden Blik: was denn das geben ſollte? ſie ge- drängt hätte. Sie gab das unglükliche Gewehr dem Knaben, ohne ein Wort vorbringen zu kön- nen, und als der zum Hauſe draus war, machte O 4 ſie ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 216 <<<<<<<<<<<<<<< ſie ihre Arbeit zuſammen, ging in ihr Zimmer in dem Zuſtand des unausſprechlichſten Leidens. Ihr Herz weiſſagte ihr alle Schrökniſſe. Bald war ſie im Begriff ſich zu den Füſſen ihres Man- nes zu werfen, ihm alles zu entdekken, die Ge- ſchichte des geſtrigen Abends, ihre Schuld und ih- re Ahndungen. Dann ſah ſie wieder keinen Aus- gang des Unternehmens, am wenigſten konnte ſie hoffen, ihren Mann zu einem Gange nach Wer- thern zu bereden. Der Tiſch ward gedekt, und eine gute Freundinn, die nur etwas zu fragen kam und die Lotte nicht wegließ, machte die Unterhal- tung bey Tiſche erträglich, man zwang ſich, man redete, man erzählte, man vergaß ſich. Der Knabe kam mit den Piſtolen zu Wer- thern, der ſie ihm mit Entzükken abnahm, als er hörte, Lotte habe ſie ihm gegeben. Er ließ ſich ein Brod und Wein bringen, hies den Knaben zu Tiſch gehn, und ſezte ſich nieder zu ſchreiben. * || Sie ſind durch deine Hände gegangen, du haſt ||||| den Staub davon gepuzt, ich küſſe ſie tau- ſendmal, du haſt ſie berührt. Und du Geiſt des Himmels begünſtigſt meinen Entſchluß! Und du Lotte ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 217 Lotte reichſt mir das Werkzeug, du, von deren Händen ich den Tod zu empfangen wünſchte, und ach nun empfange. O ich habe meinen Iun- gen ausgefragt, du zitterteſt, als du ſie ihm reich- teſt, du ſagteſt kein Lebe wohl; - Weh! Weh! - kein Lebe wohl! - Sollteſt du dein Herz für mich verſchloſſen haben, um des Augenbliks wil- len der mich auf ewig an dich befeſtigte. Lotte, kein Iahrtauſend vermag den Eindruk auszulö- ſchen! Und ich fühl's, du kannſt den nicht haſſen, der ſo für dich glüht. ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Nach Tiſche hieß er den Knaben alles vol- lends einpakken, zerriß viele Papiere, ging aus, und brachte noch kleine Schulden in Ordnung. Er kam wieder nach Hauſe, ging wieder aus, vor's Thor ohngeachtet des Regens, in den gräflichen Garten, ſchweifte weiter in der Gegend umher, und kam mit einbrechender Nacht zurük und ſchrieb. * || Wilhelm, ich habe zum leztenmale Feld und ||||| Wald und den Himmel geſehn. Leb wohl auch du! Liebe Mutter, verzeiht mir! Tröſte ſie, Wilhelm. Gott ſegne euch! Meine Sachen ſind O 5 all ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 218 >>>>>>>>>>>>>>> all in Ordnung. Lebt wohl! Wir ſehen uns wieder und freudiger. * || Ich habe dir übel gelohnt, Albert, und du vergiebſt ||||| mir. Ich habe den Frieden deines Hauſes geſtört, ich habe Mißtrauen zwiſchen euch gebracht. Leb wohl, ich will's enden. O daß ihr glüklich wäret durch meinen Tod! Albert! Albert! ma- che den Engel glüklich. Und ſo wohne Gottes Seegen über dir! ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Er kramte den Abend noch viel in ſeinen Papieren, zerriß vieles und warf's in Ofen, ver- ſiegelte einige Päkke mit den Adreſſen an Wil- helmen. Sie enthielten kleine Aufſäzze, abgeriſſene Gedanken, deren ich verſchiedene geſehen habe; und nachdem er um zehn Uhr im Ofen nachlegen, und ſich einen Schoppen Wein geben laſſen, ſchikte er den Bedienten, deſſen Kammer wie auch die Schlaf- zimmer der Hausleute weiter hinten hinaus waren, zu Bette, der ſich denn in ſeinen Kleidern nieder- legte um früh bey der Hand zu ſeyn, denn ſein Herr hatte geſagt, die Poſtpferde würden vor ſechſe vor's Haus kommen. nach ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 219 * nach eilfe. || Alles iſt ſo ſtill um mich her, und ſo ruhig mei- ||||| ne Seele, ich danke dir Gott, der du dieſen lezten Augenblikken dieſe Wärme, dieſe Kraft ſchenkeſt. Ich trete an's Fenſter, meine Beſte, und ſeh und ſehe noch durch die ſtürmenden vorüberfliehen- den Wolken einzelne Sterne des ewigen Him- mels! Nein, ihr werdet nicht fallen! Der Ewi- ge trägt euch an ſeinem Herzen, und mich. Ich ſah die Deichſelſterne des Wagens, des liebſten un- ter allen Geſtirnen. Wenn ich Nachts von dir ging, wie ich aus deinem Thore trat, ſtand er gegen über! Mit welcher Trunkenheit hab ich ihn oft angeſehen! Oft mit aufgehabenen Händen ihn zum Zeichen, zum heiligen Merkſteine meiner gegenwär- tigen Seligkeit gemacht, und noch - O Lotte, was erinnert mich nicht an dich! Umgiebſt du mich nicht, und hab ich nicht gleich einem Kinde, unge- nügſam allerley Kleinigkeiten zu mir geriſſen, die du Heilige berührt hatteſt! Liebes Schattenbild! Ich vermache dir's zu- rük, Lotte, und bitte dich es zu ehren. Tauſend, tau- ſend ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 220 <<<<<<<<<<<<<<< ſend Küſſe hab ich drauf gedrükt, tauſend Grüße ihm zugewinkt, wenn ich ausgieng, oder nach Hau- ſe kam. Ich habe deinen Vater in einem Zettelgen ge- beten, meine Leiche zu ſchüzzen. Auf dem Kirch- hofe ſind zwey Lindenbäume, hinten im Ekke nach dem Felde zu, dort wünſch ich zu ruhen. Er kann, er wird das für ſeinen Freund thun. Bitt ihn auch. Ich will frommen Chriſten nicht zumuthen, ihren Körper neben einem armen Unglüklichen nie- derzulegen. Ach ich wollte, ihr begrübt mich am Wege, oder im einſamen Thale, daß Prieſter und Levite vor dem bezeichnenden Steine ſich ſegnend vorüberging, und der Samariter eine Thräne weinte. Hier Lotte! Ich ſchaudere nicht den kalten ſchröklichen Kelch zu faſſen, aus dem ich den Tau- mel des Todes trinken ſoll! Du reichteſt mir ihn, und ich zage nicht. All! All! ſo ſind all die Wün- ſche und Hoffnungen meines Lebens erfüllt! So kalt, ſo ſtarr an der ehernen Pforte des Todes anzuklopfen. Daß ich des Glüks hätte theilhaftig werden können! Für dich zu ſterben, Lotte, für dich mich hinzugeben. Ich wollte muthig, ich wollte freudig ſterben, ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• <<<<<<<<<<<<<<< 221 ſterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wieder ſchaffen könnte; aber ach das ward nur wenig Edlen gegeben, ihr Blut für die Ihri- gen zu vergieſſen, und durch ihren Tod ein neues hundertfältiges Leben ihren Freunden anzufachen. In dieſen Kleidern, Lotte, will ich begraben ſeyn. Du haſt ſie berührt, geheiligt. Ich habe auch darum deinen Vater gebeten. Meine See- le ſchwebt über dem Sarge. Man ſoll meine Taſchen nicht ausſuchen. Dieſe blaßrothe Schlei- fe, die du am Buſen hatteſt, als ich dich zum er- ſtenmale unter deinen Kindern fand. O küſſe ſie tauſendmal und erzähl ihnen das Schikſal ihres unglüklichen Freunds. Die Lieben, ſie wimmeln um mich. Ach wie ich mich an dich ſchloß! Seit dem erſten Augenblikke dich nicht laſſen konnte! Dieſe Schleife ſoll mit mir begraben werden. An meinem Geburtstage ſchenkteſt du mir ſie! Wie ich das all verſchlang - Ach ich dachte nicht, daß mich der Weg hierher führen ſollte! -- Sey ruhig! ich bitte dich, ſey ruhig! - Sie ſind geladen - es ſchlägt zwölfe! - So ſey's denn - Lotte! Lotte leb wohl! Leb wohl! Ein ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 222 <<<<<<<<<<<<<<< ≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈≈ Ein Nachbar ſah den Blik vom Pulver und hörte den Schuß fallen, da aber alles ſtill blieb achtete er nicht weiter drauf. Morgens um ſechſe tritt der Bediente her- ein mit dem Lichte, er findet ſeinen Herrn an der Erde, die Piſtole und Blut. Er ruft, er faßt ihn an, keine Antwort, er röchelt nur noch. Er lauft nach den Aerzten, nach Alberten. Lotte hör- te die Schelle ziehen, ein Zittern ergreift all ih- re Glieder, ſie wekt ihren Mann, ſie ſtehen auf, der Bediente bringt heulend und ſtotternd die Nachricht, Lotte ſinkt ohnmächtig vor Alberten nieder. Als der Medikus zu dem Unglüklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls ſchlug, die Glieder waren alle gelähmt, über dem rechten Auge hatte er ſich durch den Kopf geſchoſ- ſen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Ueberfluſſe eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Athem. Aus dem Blut auf der Lehne des Seſſels konnte man ſchließen, er habe ſizzend vor dem Schreibtiſche die That vollbracht. Dann iſt er herun- ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• >>>>>>>>>>>>>>> 223 herunter geſunken, hat ſich konvulſiviſch um den Stuhl herum gewälzt, er lag gegen das Fenſter entkräftet auf dem Rükken, war in völliger Klei- dung geſtiefelt, im blauen Frak mit gelber Weſte. Das Haus, die Nachbarſchaft, die Stadt kam in Aufruhr. Albert trat herein. Werthern hatte man auf's Bett gelegt, die Stirne ver- bunden, ſein Geſicht ſchon wie eines Todten, er rührte kein Glied, die Lunge röchelte noch fürchter- lich bald ſchwach bald ſtärker, man erwartete ſein Ende. Von dem Weine hatte er nur ein Glas ge- trunken. Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufge- ſchlagen. Von Alberts Beſtürzung, von Lottens Iam- mer laßt mich nichts ſagen. Der alte Amtmann kam auf die Nachricht hereingeſprengt, er küßte den Sterbenden unter den heiſſeſten Thränen. Seine ältſten Söhne kamen bald nach ihm zu Fuſſe, ſie fielen neben dem Bet- te nieder im Ausdruk des unbändigſten Schmer- zens, küßten ihm die Hände und den Mund, und der ältſte, den er immer am meiſten geliebt, hing an ſeinen Lippen, bis er verſchieden war und man den ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• 224 <<<<<<<<<<<<<<< den Knaben mit Gewalt wegriß. Um zwölfe Mit- tags ſtarb er. Die Gegenwart des Amtmanns und ſeine Anſtalten tiſchten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Stätte begraben, die er ſich erwählt hatte, der Alte folgte der Leiche und die Söhne. Albert vermochts nicht. Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geiſtlicher hat ihn begleitet. -------------------------------------------------------- D r u ck f e h l e r. S. 9. Z. 14 ſtatt: als, lis: all. - 27. - 3 - ſchwerer - ſchwer. - 31. - PEN. nach Vetter setze ein ? Desgleichen. - 32. - 2 nach dem Worte ſeyn, auch ein ? - 90. - 12 ſtatt annahmen - annehmen - 116. - VLT. - cheint - ſcheint. - 118 - 7 - warme große - wahre warme. - 119 - 1 - und, - Und. - 194 - 11 - Salmar - Salgar. - 199 - 11 - ürer - über. - - - 13 - Hügel - Hügeln. |||||||||||||||| •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••